Mai 12, 2024

BRD : Sowjetunion

Ich zitiere aus einem Artikel des Spiegel, erschienen in der Ausgabe Nr.43 des Jahres 1958.

„In einem stickig engen Raum, in dem dichte Schwaden Tabakrauch hängen, sitzt ein unauffälliger Mann mit bebrilltem Stubenhockergesicht vor einem quadratischen Tisch. Hinter ihm plärrt ein Radio mit voller Lautstärke Tanzmusik. Um ihn herum stehen einige Männer, die Zigaretten rauchen und sich geräuschvoll unterhalten.

Der Mann am Tisch rührt sich nicht. Jemand bläst ihm eine dicke Rauchwolke ins Gesicht; der Mann bleibt unbewegt. Er hält den rechten Ellenbogen auf den Tisch, den Kopf in die offene Hand gestützt und starrt auf ein schwarz-weiß gefeldertes Wachstuch und einige elfenbeinerne Figuren.

Die Musik bleibt lärmend, der Qualm im Zimmer wird dicker. Der Mann am Tisch gießt sich mit der Linken ein Glas Obstsaft ein, trinkt einige Schlucke. Schließlich ergreift er eine der Figuren auf dem Wachstuch und schiebt sie behutsam auf ein anderes Feld.“

Derartige Übungen gehörten seinerzeit zum Trainings-Programm der sowjetischen Schachspieler-Elite, die zudem ihren Schachspieler-Kollegen weltweit an Varianten- und Endspiel-Wissen, als auch im strategischen Verständnis, um Längen voraus waren. Aus diesem Grunde überraschte es auch nicht, dass seinerzeit deutsche Mannschaften in aller Regel das Nachsehen im direkten Duell mit den sowjetischen Spielern hatten und dabei hohe Niederlagen bei Mannschaftskämpfen hinnehmen mussten, wie z. B. bei der Olympiade in Varna 1962.

Nicht so bei der Olympiade in Tel Aviv, im Jahre 1964. In der Besetzung Wolfgang Unzicker, Lothar Schmid, Helmut Pfleger und Wolfram Bialas gelang genau das, was 2 Jahre zuvor in einem Desaster endete. In der Finalrunde griff Ex-Weltmeister Wassili Smyslov gegen Wolfgang Unzicker fehl, während Wolfram Bialas und Helmut Pfleger gegen die scheinbar übermächtigen Gegner Leonid Stein und Boris Spasski jeweils sicher ein Remis erzielen konnten.

Nun hing alles an Lothar Schmid, der bereits im frühen Mittelspiel dem scheinbar übermächtigen Paul Keres die Qualität für einen Bauern abnehmen konnte, doch dieser leistete erbitterte Gegenwehr.

Ich wünsche viel Spaß beim Studium der Partie!

Foto: DSB – Strahlend präsentiert Lothar Schmid die Ehrenurkunde der Emanuel Lasker Gesellschaft (Dresden 2008)

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