Mai 7, 2024

Anmerkungen zur offiziellen Sichtweise der Dortmunder Turnierausrichter in der Causa Kramnik

Sergej Kuschugetowitsch Schoigu – Wladimir Borisowitsch Kramnik – Dmitry Sergeyevich Peskov

IM Bernd Schneider – Mit großem Interesse habe ich heute in den „Schachgeflüster Podcast“ reingehört, in dem Michael Busse diese Woche IM Patrick Zelbel aus Dortmund zu Gast hatte. Auch wenn ich Patrick mag und ihn als starken Blitz- und Schnellschachgegner sehr schätze, so galt mein Interesse mehr seinen Ausführungen als Pressesprecher der Dortmunder “Sparkassen-Chess-Trophy“. Schachfreund Zelbel wurde dabei u.a. auch zu der aufgekommenen Kritik an der Teilnahme von Vladimir Kramnik befragt. In der Folge möchte ich auf die Aussagen von Patrick eingehen. Vorausschicken möchte ich, wenn ich Aussagen hinterfrage oder gar kritisiere, so gilt dies ausdrücklich dem Dortmunder Pressesprecher und seinen Leitliniengebern, nicht der Person als solche. 

Damit sich der geneigte Leser zurechtfinden kann, gebe ich ungefähre Zeiten an, wann das betreffende Thema im Schachgeflüster-Podcast abgehandelt wurde.  Es ist somit gar nicht so einfach meinen Ausführungen zu folgen, auch wenn ich mich bemühe, mich verständlich auszudrücken.

Ab ca. Minute 13:00 geht es um das „No Castling-Turnier“. Bei diesem Einladungsturnier werden vier starke Großmeister gegeneinander antreten. Michael Busse fragt nach dem Sinn und Zweck dieser Schachabart, in der es ein Rochadeverbot gibt. Er bevorzuge das traditionelle Schach. Zu hören ist, dass man der Veranstaltung mit dieser Turnierart einen besonderen Anstrich geben möchte und kreative Partien zu einer möglichst geringen Remisquote führen sollen. Es sei eine Art wissenschaftliches Projekt, welche den Anfang mit Analysen von Alpha-Zero nahm. Dies klingt in der Tat innovativ, geht aber aus meiner Sicht am eigentlichen Thema vorbei. Alle Hinweise deuten darauf hin, dass diese Turnierabart nur deshalb veranstaltet wird, weil ansonsten Vladimir Kramnik nicht in Dortmund teilnehmen würde. Der Ex-Weltmeister hat vor einigen Jahren seine aktive Schachkarriere beendet und spielt heute nur noch im Internet oder bestenfalls bei Blitz-, Schnell- oder Showturnieren. Deshalb musste eine auf ihn konzipierte Variante des Schachspiels gefunden werden. Punkt. Dass sich Kramnik auf diese unattraktive Spielform in den letzten Monaten intensiv unter Einsatz von 10 PC´s vorbereitet hat, ist ein offenes Geheimnis. Es dient der Wissenschaft. Dass er sich damit einen enormen Wettbewerbsvorteil durch den erlangten Wissensvorsprung und Eröffnungskenntnis verschafft, sei ihm gegönnt. Schließlich müssen sich seine drei Gegner als amtierende Profis aktuell noch mit den trivialen Problemen und Feinheiten des Normalschachs beschäftigen.

Ab Minute 15:20 spricht Busse seinen Gesprächspartner auf die zunehmende Kritik an der Teilnahme von Kramnik an. Dabei zitiert er, zu meiner Überraschung, stellvertretend meinen Facebook-Post vom 18. März, der wie folgt lautete: „Sehr gerne bin ich in den vergangenen Jahren im Sommer nach Dortmund gefahren, um den Schachmeistern beim dortigen Großmeisterturnier zuzuschauen. In diesem Jahr werde ich auf einen Besuch verzichten. Keinesfalls werde ich einem Spieler (Vladimir Kramnik) huldigen, der sich ein überaus schwammiges Statement zum russischen Angriffskrieg abgerungen hat und nun sogar dem Kuratorium des Russischen Schachverbandes angehört. Präsident dieses Kuratorium ist der unsägliche Kremlsprecher Dmitri Peskow. Zahlreiche Mitglieder dieses Kuratoriums sind hochrangige Banken- und Wirtschaftsvertreter, sowie Politiker aus Russland, die allesamt den Kriegsapparat von Vladimir Putin stützen. Einer Person, die vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag wegen Kriegsverbrechen per Haftbefehl gesucht wird! Kramnik sprach im Zusammenhang des peinlichen, nichtssagenden Statements von einer „Hexenjagd“ (gegen Putin!). Im Aufsichtsrat des russischen Schachverbandes sitzt übrigens mit Sergei Schoigu der „Verteidigungs“Minister der Russischen Föderation, der ebenfalls als Kriegsverbrecher einzustufen ist. Ich kann zwar verstehen, dass der Dortmunder Strippenzieher Carsten Hensel seinen alten Kumpel Vladimir mit einer Einladung nach Dortmund (wieder einmal) belohnen möchte und exklusiv für den Ex-Weltmeister sogar Turnierpartien mit dem alternativen 960-Schach (richtig „No Castling“) spielen lässt. Aber ich halte es im Jahr 2023 für ein verheerendes Zeichen, wenn Putinunterstützer als Ehrengäste nach Deutschland eingeladen werden. Stattdessen wäre es ein echtes Zeichen gegen den russischen Angriffskrieg gewesen, zu den „Dortmunder Schachtagen 2023“ ukrainische Schachmeister einzuladen. Den mehr als 1 Mio Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine in Deutschland hätte man so sicherlich besser in die geschundenen Gesichter schauen können.“

Dieser Beitrag wurde von der großen Mehrheit der Leser (über 90%) positiv bewertet, darunter mehrere Großmeister und sogar von einem Gegner Kramniks aus den Dortmunder GM-Turnieren 2016 + 2017. Ebenso sprachen sich bei einer vom Schach-Ticker veranstalteten Umfrage 75% der (ca. 100) Teilnehmer dafür aus, dass Kramnik nicht in Dortmund spielen solle. 

Ab Minute 17:10 wird der Dortmunder Pressesprecher um eine Stellungnahme gebeten, die in etwa wie folgt ausfällt: 1.) Wir haben ja extra mit Eljanov einen ukrainischen Spieler im Feld, der keine Einwände hat, dass Kramnik am Turnier teilnimmt. 2.) Darf man es als Turnierveranstalter einem russischen Spieler, der unter neutraler Flagge antritt, gar nicht verbieten an einem Turnier teilzunehmen. 3.) Die Stellungnahme von Kramnik zum Ukraine-Krieg sei relativ vernünftig gewesen, dies sollen aber andere kommentieren. 4.) Sport (Schach) und Politik sollen nicht miteinander vermischt werden. 5.) Es ist positiv, dass unterschiedliche Nationen (hier u.a. ein Russe und ein Ukrainer) an einem Tisch sitzen. Auch hier habe ich jeweils gänzlich andere Auffassungen.

Zu 1.) Pavel Eljanov gewann vor einem Jahr das Dortmunder Großmeisterturnier und bekam dadurch das Startrecht am „No Castling-Turnier“. Entsprechend unterschrieb er einen Kontrakt, er stand somit als erster Teilnehmer fest. Nun sind seitdem viele Monate vergangen, der russische Angriffskrieg läuft mit unverminderter Härte weiter. Dass sich Kramnik in das Kuratorium des russischen Schachverbandes mit einer „ehrenwerten“ Gesellschaft begeben hat, war Eljanov zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt. Dem ukrainischen Großmeister ist es wohlbekannt, dass es in der Ukraine einen bindenden Beschluss gibt, dass man in keinem Wettbewerb gegen Russen antreten soll. Dies gilt insbesondere für Showveranstaltungen. Dagegen zu verstoßen sei überhaupt nicht populär und die meisten ukrainischen Schachspieler sind strikt gegen derartige Begegnungen. Dies dürfte auch den Dortmunder Organisatoren wohlbekannt sein. Warum bringen Sie den ukrainischen Spieler in eine solche Zwickmühle? Einerseits hat er einen Vertrag in Dortmund, andererseits würde er nach seinem Zusammentreffen mit Kramnik in der geliebten Heimat gebrandmarkt werden. Es macht ihm also sehr wohl etwas aus, gegen einen exponierten Russen spielen zu müssen.

Zu 2.) Klingt auf den ersten Blick logisch. Aber es geht hier um ein Einladungsturnier, zu dem man sich nicht einfach unter neutraler Flagge anmelden kann. Man benötigt eine Einladung und diese kann der Veranstalter nach eigenem Ermessen vergeben (muss aber in Kriegszeiten damit rechnen, dass Unterstützer Putin’s nicht unbedingt für die beste Wahl gehalten werden. Ebenfalls dagegen spricht, dass am 10.04.2023 folgende Nachricht publiziert wurde: „Innenministerin Faeser will russischen Sportlern bei internationalen Wettbewerben die Einreise nach Deutschland verbieten. Putin solle keine Propaganda-Bühne geboten werden.“ In Dortmund scheint man es anders zu sehen.

Zu 3.) In der Tat möge jeder selber entscheiden, ob Putin einer Hexenjagd ausgesetzt ist und ob das wachsweiche Gesülze des Herrn Kramnik eine vernünftige Stellungnahme zum Angriffskrieg der Russen war. Ich vergleiche dieses ausweichende „Nichtssagende“ mit der ebenso unsäglichen Stellungnahme von Antoli Karpov gegenüber der französischen Europe-Echecs im letzten Jahr. Wie erfrischend bringt es hingegen Garri Kasparov auf den Punkt, ohne sich nur im Ansatz verbiegen zu müssen.

Zu 4.) Das Sport – hier Schach – und Politik untrennbar sind, erkennt man alleine schon an der Besetzung des Kuratorium des russischen Schachverbandes. Der Vorsitzende ist Pressesprecher des Kremls, Mitglied Schoigu ist russischer Verteidigungsminister, Dvorkovich war Vizepräsident der russischen Föderation und ist nun das russische U-Boot im Weltschach. Kudrin war Finanzminister, Sobjanin ist Bürgermeister von Moskau, Kloponin war stellvertretender Ministerpräsident der Russischen Föderation, Shaimiev ist ehemaliger Präsident der Republik Tatarstan. Neben einigen Gazpromlern, Bankern, Zeitungsherausgebern und Wirtschaftslenkern gesellt sich noch Kramnik zur illustren, unpolitischen Schachrunde.  

Zu 5.) Positiv? Als potentielles Friedenszeichen? Oder ist es eine Demütigung des ukrainischen Großmeisters, den man unnötigerweise in eine unmögliche Lage gebracht hat.                      

Ich bin gespannt, wie sich Eljanov bis zum Sommer positionieren wird. Ebenso bin ich sehr daran interessiert zu erfahren, wie der Namensgeber / der Hauptsponsor der Veranstaltung, die Stadtsparkasse Dortmund diese Situation bewertet. Während von der Stadt Dortmund über 7.000 ukrainische Flüchtlinge aufgenommen wurden, erhält ein russischer Staatsbürger (mit engen Kontakten zu Personen, gegen die EU-Sanktionen verhängt wurden) von der örtlichen Stadtsparkasse ein sattes Honorar dafür, dass er auf der Turnierbühne Partien ohne Rochade u.a. gegen einen Ukrainer spielt. Mir persönlich gefällt die Verteilung der Gelder nicht, aber vielleicht bin ich ja auch zu naiv. Business as usual.  

Die “Ehrenwerte Gesellschaft”