Mai 9, 2024

Läutet bald die Totenglocke für den Leistungssport im Schach?

Ein Diskussionsbeitrag von GM Gerald Hertneck zur aktuellen Finanzlage des DSB

In den vergangenen Tagen war aufgrund des veröffentlichten Untersuchungsberichts für den Zeitraum von Januar 2021 bis Mai 2023 durch die Sonderprüfer des DSB von Dr. Matthias Kierzek und Alexander von Gleich vermehrt zu lesen, wie dramatisch sich die Haushaltslage des DSB im Untersuchungszeitraum entwickelt hat. Diese Ergebnisse sollen auch nicht bestritten werden. In diesem Beitrag wird jedoch eine andere Perspektive eingenommen, und zwar die Kürzungsorgie, die infolge der verschlechterten Finanzlage des DSB wie eine Naturgewalt seit Anfang des Jahres auf den Leistungssport im deutschen Schachbund niederprasselte, und zwar sowohl unter dem alten wie unter dem neuen Präsidium.

Es ist zwar unbestritten, dass auch der Bereich Leistungssport zur Haushaltskonsolidierung des DSB beitragen muss. Doch wie weit soll das gehen? Hier eine Auswahl der Leistungen, die (spätestens) ab 2024 nicht mehr finanziert werden (können):

Zuschüsse zu Normenturnieren der Landesverbände

Die vom DSB-Kongress beschlossenen Turnierkostenzuschüsse für Normenturniere fanden in den letzten beiden Jahren bei den Landesverbänden großen Anklang und trugen zur vermehrten Ausrichtung von Normenturnieren bei. Durch die Kürzung können keine Zuschüsse mehr gewährt werden, und die Landesverbände tragen die Kosten künftig zu hundert Prozent selbst. Es war zwar kein großer Zuschuss, aber doch ein wichtiges Signal: der DSB unterstützt seine Landesverbände und Landestalente bei der Ausrichtung von Normenturnieren und beim Erwerb von Normen. Mit einem Budget von 16.000 Euro jährlich.

Ausrichtung von Länderkämpfen gestrichen

Es wird immer wieder in der Kommission Leistungssport diskutiert: die Kaderspieler*innen des DSB würden gerne zur Turniervorbereitung auf Europameisterschaften und Schacholympiaden einen Vergleichskampf gegen eine starke Mannschaft austragen. Jedoch ist es schon lange her, dass ein solcher Länderkampf (außerhalb des Mitropacups) stattgefunden hat. Denn diese freiwillige Leistung kann nur realisiert werden, wenn ein größeres Budget für die Organisation inkl. Einladung der Gastmannschaft vorhanden ist (oder man selbst vom Gastgeber eingeladen wird). Zudem müssen natürlich auch Preisgelder und Spielerhonorare bereitgestellt werden. Damit wird ein solcher Länderkampf zur teuren Veranstaltung, die im Prinzip nur mit Unterstützung von Sponsoren möglich ist.

Frauengruppentraining gestrichen

In den Jahren 2021 und 2022 fand auf Initiative des Referenten für Leistungssport ein regelmäßiges Gruppentraining für die B-Kaderspielerinnen statt, das leider in der ersten Einsparungsschwelle im Frühjahr 2023 ersatzlos gestrichen werden musste. Seitdem müssen die Spielerinnen auf Einzeltraining ausweichen, wenn sie weiter trainieren möchten.

Halbierung der Kaderzuschüsse

Diese Kaderzuschüsse dienen zur Abdeckung von Turnier- und Trainingskosten der Spitzenspieler. Der Gipfel der Kürzungswelle wurde im November 2023 erreicht, als ein Vorschlag im Präsidium zirkulierte, die jährlichen Kaderzuschüsse wie folgt zu halbieren:

A-Kader: von 3.000 € auf 1.500 € p.a.
B-Kader: von 1.000 € auf 500 € p.a.
C-Kader: von 500 € auf 0 € p.a.
Zuschuss für die Einzel-Europameisterschaft: von 1.000 auf 500 p.a.

Der Referent für Leistungssport hat sich wiederholt vehement gegen diese Kürzungen ausgesprochen, weil dadurch die Mitgliedschaft im Kader entwertet wird und die Spieler*innen mit Ausnahme des A-Kaders auf Sparkost gesetzt werden. Nach diesem Plan würden sogar alle C-Kaderspieler*innen ab 2024 leer ausgehen! Und selbst die Spieler*innen im B-Kader könnten maximal noch 500 Euro jährlich abrechnen! Dabei ist es ein weiter Weg, den man zurücklegen muss, bis man in den B-Kader aufgenommen wird. Bei den Männern gibt es B-Kaderspieler mit 2600 Elo und bei den Frauen sind rund 2300 Elo für die Aufnahme erforderlich. Und die besten B-Kader-Spieler werden bei den Frauen in die Nationalmannschaft nominiert.

Auslaufen des Powergirls-Programms

Dieses Sonderprogramm läuft zum Jahresende 2023 aus. Das ist zwar keine direkte Folge der Kürzungen im Budget des DSB, da die Kosten des Programms durch den Sponsor Roman Krulich abgedeckt sind. Jedoch fügt es sich gut ein in das allgemeine Bild: ab 2024 ist kaum noch Geld für Sonderförderungen da! Dabei sind gerade solche Sonderförderungen sehr wichtig, um die Spieler*innen in ihrer schachlichen Entwicklung durch Teilnahmen an internationalen Wettbewerben und ganz konkret bei der Turniervorbereitung zu unterstützen. Das Programm lief über zweieinhalb Jahre und hat sicher auch zum erfolgreichen Abschneiden der Nationalmannschaft auf der Europameisterschaft 2021 in Catez und der Schacholympiade 2022 in Chennai beigetragen.

Zuzahlungen im Nachwuchsbereich wurden angehoben

Die Eigenbeteiligung von Eltern für Turnierkosten von Kaderspieler*innen sind immer wieder umstritten. Denn die Eltern unserer Kaderspieler im Nachwuchsbereich werden vom DSB zur Kasse gebeten, wenn sie an Wettkämpfen und Lehrgängen im Leistungssport teilnehmen. Lediglich für die jeweiligen Deutschen Meister in ihrer Altersklasse werden die Kosten vom DSB voll übernommen. Letztlich können sich daher nur wohlhabende Eltern es leisten, Ihre Kinder zur (teuren) Jugend-EM oder Jugend-WM zu schicken. Das läuft dann so: der DSB nominiert den Nachwuchsspieler auf Antrag der Eltern, und schickt nach dem Turnier eine Rechnung an die Eltern, selbst wenn das Talent dort gut abgeschnitten hat. Die anderen Spieler müssen hohe Eigenbeteiligungen für Unterkunft und Trainer an den DSB errichten, selbst wenn sie Medaillen gewinnen.

Weitere Kürzungen

Anzumerken ist, dass der Leistungssport auch an weiteren Positionen mit Kürzungen zur Budgetsanierung beigetragen hat, die hier nicht im Einzelnen aufgeführt werden sollen, um diesen Beitrag nicht noch länger werden zu lassen.

Wo steht das Leistungsschach im internationalen Vergleich?

Betrachten wir im Gegenzug auszugsweise die aktuellen Erfolge unserer Kaderspieler

  • Silbermedaille der deutschen Nationalmannschaft auf der Europameisterschaft in Budva – größter Teamerfolg seit 12 Jahren!
  • Silbermedaille für Magnus Ermitsch auf der U14-Weltmeisterschaft
  • Bronzemedaille für Leonardo Costa auf der U16-Weltmeisterschaft
  • GM Vincent Keymer steht sensationell auf Nummer 14 der Weltrangliste – ein Erfolg den die Wenigsten für möglich gehalten hätten
  • GM Frederik Svane ist als 19-jähriger aktuell Nummer 13 der Weltrangliste U20
  • Die Nachwuchsspieler IM Marius Deuer, (IM) Leonardo Costa und IM Bennet Hagner stehen als 15jährige auf Platz 11, 31, und 61 der U16 Weltrangliste
  • Die Jungstars FM Hussain Besou und FM Christian Glöckler sind aktuell Nummer 4 und 6 der U12 Weltrangliste.

 Ausgaben und Einnahmen im Leistungssport – eine Zwischenbilanz

Lässt man all dies auf sich wirken, stellt man unwillkürlich fest, dass Leistung und Förderung spätestens ab 2024 nicht mehr im Einklang stehen. Gäbe es nicht die Zuschüsse des Innenministeriums für den Leistungssport, die übrigens jährlich beantragt und abgerechnet werden müssen, wäre die Aufrechterhaltung des Spiel- und Trainingsbetriebs für die Kaderspieler und Nationalspieler aus finanziellen Gründen kaum mehr möglich!

Betrachten wir nun das Budget im Einzelnen. Der Untersuchungsbericht führt zur Bezuschussung des Referats Leistungssport auf Seite 8 folgendes aus:

„Die Unterstützung des Spitzenschachs wurde stark ausgebaut, von

  • 31.000 Euro in 2020 auf
  • 53.000 Euro in 2021 auf
  • 89.000 Euro in 2022.“

Dies ist bei näherer Betrachtung allerdings nur die halbe Wahrheit, denn durch die Coronajahre 2020 und 2021 war der Spielbetrieb stark eingeschränkt (wir erinnern uns alle, dass sich der Spielbetrieb auf die Schachserver verlagerte), und infolgedessen haben sich die Ausgaben im Leistungssport stark reduziert. Erst im Jahr 2022 konnte der normale Spielbetrieb wieder aufgenommen werden.

Dennoch ist es richtig, dass der DSB viel Geld für den Leistungssport ausgibt, doch wenn man die Finanzierung im Detail betrachtet, dann ist der mit Abstand größte Betrag (in sechsstelliger Höhe) über die Sportförderung das Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB) bzw. des Innenministeriums abgedeckt. Weitere fünfstellige Zuschüsse fließen über die Sponsoren UKA als Förderer der deutschen Nationalmannschaften (in Person von Gernot Gauglitz) und die Krulich Immobiliengruppe für das Powergirls-Programm und die Teilnahme an der Frauen-WM (in Person von Roman Krulich). Diese Gelder sind naturgemäß zweckgebunden für den Leistungssport. Somit verbleibt ein verhältnismäßig geringer Anteil, der dem Leistungssport aus Beitragsmitteln zugesteuert wird – und übrigens auch als Eigenbeteiligung für die Sportförderung vom DOSB gefordert wird.

Laut Untersuchungsbericht wurden vom DSB folgende Mitgliedsbeiträge vereinnahmt:

  • Im Jahr 2020: 732.000 Euro
  • Im Jahr 2021: 713.000 Euro
  • Im Jahr 2022: 711.000 Euro

Stellt man Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen und Ausgaben für den Leistungssport aus Beitragsmitteln gegenüber, lässt sich der prozentuale Anteil leicht berechnen, mit dem der Leistungssport den Haushalt „belastet“:

Kalender-Jahr

Beiträge DSB

Ausgaben LSP

Prozent

2020

732.000 €

31.000 €

4,2%

2021

713.000 €

53.000 €

7,4%

2022

711.000 €

89.000 €

12,5%

Die endgültigen Zahlen für 2023 liegen noch nicht vor, da im Leistungssport die Schlussabrechnungen vom Dezember noch ausstehen.

Hier wird deutlich, dass der Anteil in den Coronajahren deutlich unter 10 Prozent lag, und im Jahr 2022 – dem ersten Normaljahr nach Corona – bei 12,5 Prozent, also einem Achtel der Beitragsmittel. Ist dies dem Deutschen Schachbund zu viel, um seine Spitzenspieler zu fördern? Ich kann das nicht glauben! Man muss auch bedenken, dass einige Spitzenspieler*innen Profis sind oder zumindest zeitweise ein Schachjahr einlegen, in dem sie von ihren Einnahmen leben müssen. Ohne diese Profis wären wir letztlich international auf Dauer nicht wettbewerbsfähig!

Somit muss der Deutsche Schachbund jetzt eine wichtige Entscheidung treffen: will er sich kaputtsparen, oder will er weiter auf die Förderung des Leistungssports setzen? Will er auch die anderen Referate (wir denken an die Senioren, die Frauen, das Breitenschach, das Onlineschach und die Inklusion) finanziell bedarfsgerecht ausstatten oder weiter auf Sparflamme setzen?

Die Lösung dieser Frage bleibt natürlich den Delegierten auf dem Kongress des DSB vorbehalten. Aber eines ist klar: wenn das schwankende Schiff des DSB weiterhin auf strikten Sparkurs getrimmt wird, dann müssen sich die Spitzenspieler und übrigens auch der Referent für Leistungssport überlegen, wie lange sie ihre Dienst für den Deutschen Schachbund noch leisten!

Wie wäre es stattdessen mit einer dauerhaften Beitragserhöhung von 4 oder 5 Euro, nachdem zehn Jahre lang die Beiträge nicht erhöht wurden? Nur zum Vergleich: wie viel kostet ein Getränk in der Kneipe um die Ecke? Sagen wir mal 4 Euro. Sind diese vier Euro Konsumverzicht nicht jedem Mitglied als jährliche Beitragserhöhung zumutbar? Wollen wir uns wirklich weiter arm rechnen und den Stress für alle Betroffenen erhöhen? Soll der Großmeister zum Bittsteller des DSB werden? Das sind die Fragen, die sich hier stellen.

Die Antwort ist aus meiner Sicht eindeutig, und der Untersuchungsbericht kommt selbst zum Schluss: Die Beitragserhöhung von 3 Euro für 2024 sollte auf 4 Euro erhöht und zeitlich nicht begrenzt werden! Zuzufügen wäre: um den Verband auf allen Ebenen wieder handlungsfähig zu machen!