April 20, 2024

Erinnerungen – GM Lothar Schmid

Ralf Schreiber – Aufbauend auf „Erinnerungen 1“, komme ich zu GM Lothar Schmid.
Lothar Schmid wurde 1928 in Radebeul geboren und verstarb 2013 in Bamberg. Er ist einer der wenigen Schachspieler, der einen Großmeistertitel im Nahschach und im Fernschach errang. Er hatte eine der weltweit größten Privat-Schachsammlungen (50.000 Schachbücher uvm.) und war der Inhaber des Karl-May-Verlages. Also der Chef von Winnetou und Old Shatterhand.

Bereits im Alter von 11 Jahren spielte ich simultan gegen Lothar Schmid. Der Anlass war das 25-jährige Bestehen meines Heimatvereins, dem Schachverein Hattingen, der 1945 gegründet wurde. Sicherlich nicht meiner Spielleistung zu verdanken, errang ich damals ein Unentschieden.

Zwei Jahre später hatte Lothar Schmid seinen legendären Schiedsrichter-Einsatz beim Weltmeisterschaftskampf Robert „Bobby“ Fischer gegen Boris Spassky in Reykjavik. Eine WM bei der auch der kalte Krieg ausgefochten wurde, Sowjetunion gegen den Westen. Es war also sehr viel Diplomatie von Nöten. Ein unglaubliches weltweites Medieninteresse sorgte für viele neue Schachspieler. Und das zu Zeiten, in der die Welt noch nicht digital war. Nach weiteren WM-Einsätzen von Lothar Schmid, wurde dieser vom Weltschachverband zum Jahrhundert-Schiedsrichter ernannt.

Im Jahre 2004 organisierte ich mit meinen Schachfreunden eine Schachveranstaltung zu Ehren von Robert Porbeck. Dies zu seiner 50-jährigen Vereinsmitgliedschaft, in der er die meiste Zeit auch ein Ehrenamt ausübte. Zuletzt als Ehrenvorsitzender.

Das Schachturnier war spannend besetzt. Aus ganz Deutschland kamen ehemalige Vereinsmitglieder, um Robert zu ehren und um mitzuspielen. Aber auch hochkarätige Spieler wie GM Daniel Fridman (Lettland), IM Karl-Heinz Podzielny jun. (Potzblitz), GM Alexander Berelovisch (Ukraine), GM E. Schaposchnikov (Russland) und viele andere spielten mit.

Als Höhepunkt der Veranstaltung wollte ich GM Lothar Schmid für eine Simultan-Veranstaltung und einem Vortrag zum WM-Kampf Fischer-Spassky gewinnen. Normalerweise ruft man den gewünschten Großmeister an, fragt, ob er spielt und wann er Zeit hat, und einigt sich auf ein Honorar. Bei Lothar Schmid eben nicht.
Beim ersten Gespräch teilte er mir mit, das er seit 10 Jahren nicht mehr gespielt hat und es auch nicht mehr vor hätte. Nach vielen weiteren Telefonaten kam dann das entscheidende Gespräch. Ich fragte ihn, ob es nicht interessant wäre festzustellen, ob man nach 10 Jahren Schachspielen verlernen kann oder ob es wie Fahrradfahren wäre, es eben nie verlernt. Genau das war es dann, was er für interessant fand und sagte endlich zu.

Und dann war es so weit. Ich fuhr damals zum Bahnhof, um ihn abzuholen. Am Bahnsteig kam er mir dann trotz warmer Temperaturen in einem Pelzmantel entgegen. Die erste Hiobsbotschaft war dann, dass er so heftige Zahnschmerzen habe, dass die Veranstaltung gefährdet erschien. In dieser Situation, ein Wochenende, wurde er kurzerhand zu einem Zahnarzt gefahren, der den Gepeinigten schmerzfrei stellte. Nach seinem Honorar gefragt, lehnte er dies brüskiert ab, mit den Worten, es sei ihm eine besondere Ehre gewesen, „einem leibhaftigen Großmeister des Schachsportes in den Mund zu fassen.“

Und ja, der 76-jährige Großmeister hat das Schachspiel nicht verlernt, wenn er auch etwas mehr Zeit benötigte, als noch im Jahre 1970 beim Schachverein Hattingen. Dieses Mal schenkte er mir auch keinen halben Punkt.

Der 1,5-stündige Vortrag über den WM-Kampf Fischer-Spassky, den er zuvor gehalten hatte, war sensationell.

Foto 1: Lothar Schmid – Ralf Schreiber
Foto 2: Spiellokal Schulenburg, Hattingen
Foto 3, 5-7: Simultanveranstaltung
Foto 4: Robert Porbeck
Foto 8: Bürgermeister Liebig – Ralf Schreiber
Foto 9: Bernd Bötzel (lokaler Sieger), IM Karl-Heinz Podzielny (Platz 3, GM E. Schaposchnikov (Platz 1) GM Daniel Fridman (Platz 2)
Foto 10: GM Daniel Fridman – IM Karl-Heinz Podzielny
Foto 11: GM A. Berelovisch – GM E. Schaposchnikov
Foto 12: kein GM aber Dr. H.-J. Weyer (NRW-Präsident a.D.) – GM Daniel Fridman