April 26, 2024

Favoritensterben beim Weltcup

Gestorben ist meines Wissens und zum Glück niemand – nicht an Covid-19, nicht durch Hochwasser und auch aus keinem anderen Grund. Aber eine Reihe Spieler sind eben ausgeschieden, und zwar früher als erwartet oder wohl von ihnen selbst „geplant“. Anders als das Titelbild vielleicht suggeriert, ist Vachier-Lagrave nicht darunter, er hatte am Ende doch keine Lust auf Abreise oder Rollentausch – ab sofort Sekundant für seinen ebenfalls im Turnier verbliebenen Sekundanten Bacrot. Im Armageddon war der Goliath klar der Chef gegen den David – Nachname Paravyan, Land Russland. Aber so lange dauerte es, neben den Spielern und Schiedsrichtern hat auch der FIDE-Fotograf Erik Rosen ausgeharrt.

Ansonsten kann man sich bei diesem Weltcup auf gar nichts verlassen – nicht einmal darauf, dass es bei den Damen mehr Überraschungen gibt als im offenen Turnier. Aber ich mache mal nicht „Ladies first“ sondern beginne bei den Herren:

Wie Wikipedia zeigt (jedenfalls momentan, nach der nächsten Runde wird erneut aktualisiert) sind sechs der zehn nominell besten Spieler bereits ausgeschieden, das auf unterschiedliche Art und Weise. Aronian, Firouzja und Dominguez hatte es bereits in der zweiten Runde (für sie war das die erste Runde) erwischt. Aronian unterlag dem auf der FIDE-Eloliste nicht erwähnten Tonsilitis – zwar wohl nur ein entfernter Verwandter des Corona-Virus, aber nicht entfernt genug. Es profitierte der Australier Bobby Cheng. Firouzja und Dominguez hatten im Stichkampf gegen Usbeken das Nachsehen.

Das hatten wir eigentlich bereits, Thema dieses Berichts ist ja die dritte Runde. Caruana hatte zuvor nicht nur ein Bye, sondern fast zwei – in Runde 2 musste er nur beweisen, dass er die Schachregeln kennt. Sein anschließendes Problem war: der kasachische Gegner Jumabayev wollte zeigen, dass Usbekistan nicht das einzige zentralasiatische Schachland ist. Eine Landsfrau von ihm bewies das übrigens auch, aber Damenturnier kommt später. Mit dem Schwarzremis in der ersten Partie war Caruana zufrieden, „dann gewinne ich eben mit Weiß“. Es kam dann anders: vor der Zeitkontrolle stand er nach eher inkorrektem Qualitätsopfer bereits ziemlich schlecht – eine andere Version war da laut Engines ausgeglichen, nicht mehr und nicht weniger und das nur wenn man Computerzüge findet. Er kam zurück in die Partie, griff direkt nach der Zeitkontrolle erneut daneben und nun war es endgültig.

Wir bleiben (halb) in Zentralasien, also bekommt nun Giri seinen Absatz – den letzten in diesem Turnier. Er traf auf den Usbeken Abdusattorov, optisch fast ein Doppelgänger aber noch nicht in denselben Eloregionen angekommen – was nicht ist kann da vielleicht noch werden. Die beiden Partien mit klassischer Bedenkzeit waren durchgehend ausgeglichen – unklar ob Giri die Entscheidung im Stichkampf suchte (und fand), oder ob er gegen das Jungtalent keine geeigneten Mittel fand. Im Stichkampf hatte er dann in der ersten Partie das Nachsehen – vorentscheidend war ein Bauerneinsteller, wobei es danach offenbar zunächst noch remislich war, später aber nicht mehr. In der zweiten Partie verpasste Giri mehrfach den Gewinn und verlor dann erneut. Seinen (Galgen-)Humor hat er behalten: auf Twitter freute er sich über 0,6 Elopunkte aus den Weltcup-Partien mit klassischer Bedenkzeit – dank 2-0 gegen Savchenko in Runde zwei.

Nun geht es in den Kaukasus: im armenisch-azerischen M&M-Duell gewann der unbekanntere Spieler – also nicht Mamedyarov sondern Martirosyan. Da ging es bereits mit klassischer Bedenkzeit zur Sache: die erste Partie verlor Mamedyarov, auch durch einen Bauerneinsteller (bzw. er musste sich von zwei Bauern verabschieden). Mit einer Energieleistung im Turmendspiel konnte er tags darauf ausgleichen. Dann verlor er die erste Schnellpartie, wieder tief im Endspiel. Unter Siegzwang hätte er die zweite Schnellpartie dann eher verlieren als gewinnen können, Remis reichte aber auch um auszuscheiden.

Aus der top10 im Turnier verblieben sind die Weltcup-erfahrenen Grischuk, Vachier-Lagrave und Karjakin, sowie der nicht so Weltcup-erfahrene Carlsen. Aus der nächsten Zehnergruppe (#11-20) dagegen neun von zehn Spielern – erwischt hat es nur Paco Vallejo gegen einen gewissen Velimir Ivic (der danach auch Matthias Bluebaum besiegte). Grüppchenbildung auch auf Platz 66-68 der Setzliste – zwei (Jumabayev und Abdusattorov) hatten wir bereits, der Weissrusse Vladislav Kovalev profitierte davon, dass er statt gegen Levon Aronian gegen Bobby Cheng spielte. Eine Zehnergruppe (#85-94) wurde halbiert – weiterhin dabei die Iraner Idani und Tabatabaei, der polnische Kasper Kacper Piorun, sowie auch der Inder Praggnanandhaa und der Azeri Durarbayli. Und es geht immer noch weiter: auch noch im Turnier Nummer 102 Brkic, Nummer 110 Ivic und Nummer 121 Sindarov. Praktisch alle, die nach Papierform bereits draußen sein sollten, hatten mehrere nominell bessere Gegner eliminiert.

Das Ganze noch geografisch: Noch dabei sind 32 Spieler aus 15 Ländern, davon 10 Russen. Mehrfach vertreten sind außerdem:

Indien (Harikrishna, Praggnanandhaa sowie Vidit, dessen Namen man kaum abkürzen kann). Im direkten Duell brauchten Vidit und Adhiban recht lange um zu entscheiden, wer nun der bessere ist.

Polen mit Duda, Wojtaszek (etwas Dusel im Stichkampf gegen Matlakov) und Piorun, der mit Ragger und Jorden van Foreest zwei nominell bessere besiegte – nun spielt er gegen Sindarov, eine der anderen Überraschungen.

Frankreich mit, wie bereits erwähnt, MVL und Bacrot

die USA mit Caruana, Shankland und Xiong

sowie Usbekistan mit Abdusattorov und Sindarov, Jugend forsch

Regional noch zwei aus dem Kaukasus – nicht etwa Aronian und Mamedyarov, sondern Martirosyan und Durarbayli – sowie (da überraschen neben den Namen auch die Länder) vom Balkan der Serbe Ivic und der Kroate Brkic.

32 Spieler sind dagegen ausgeschieden, so will es das KO-System. Die kommen aus 23 Ländern, neben kleinen Ländern mit zuvor noch einem Vertreter hat es auch ganze Kontinente erwischt – Südamerika, Afrika und Australien. Nicht so klein sind (jedenfalls was die Schachszene betrifft) Deutschland, die Niederlande und die tschechische Republik. Alle vier Vertreter waren in der dritten Runde Elo-Favorit, aber neben Giri, van Foreest und Bluebaum (die hatten wir bereits) hat es auch Navara erwischt. Gegen Durarbayli war zwar im Prinzip der David zugleich der Goliath, aber Durarbayli gewann.

Wer als Deutscher einem Nachbarland die Daumen drücken will: Frankreich und Polen geht noch. Nur Russland wird sicher die wiederum nächste Runde erreichen, denn es gibt mit Dubov-Esipenko, Artemiev-Karjakin und Vitiugov-Svidler gleich drei Derbies.

Statt noch weitere Partien zu besprechen, komme ich nun zu den Damen: Da sind es ja bereits nur noch sechzehn, und unter diesen „sweet sixteen“ immerhin neun aus der top10 der Setzliste. Erwischt hat es nur #6 Harika gegen Nummer 27 Gunina (immer gefährlich und momentan im Elotief). Die einzige nominell grosse Überraschung ist Bibisara Assaubayeva aus dem bereits erwähnten Kasachstan – an 50 gesetzt hat sie zwei nach Elo favorisierte Gegnerinnen nach Hause geschickt: erst Landsfrau Abdumalik, dann auch Khotenashvili. Nahe dran an einer Überraschung war auch die an 44 gesetzte Garifullina, aber dann verlor sie doch im Stichkampf gegen Landsfrau Shuvalova. Noch umkämpfter war in der dritten Runde Mariya Muzychuk – Ushenina, erst nach den Blitzpartien war klar, welche ukrainische Ex-Weltmeisterin die nächste Runde erreicht – die zuerst genannte.

Im Turnier mit Stefanova, Kosteniuk und Tan Zhongyi weiterhin drei andere Ex-Weltmeisterinnen, Goryachkina hat das jedenfalls vor (und recht gute Chancen). Und auch noch Elisabeth Paehtz: mit Mammadova hatte sie weniger Mühe als zuvor mit Salimova. Nach -ova kommt nun -chuk, Vorname Anna Muzy – in diesem Match ist sie Außenseiterin. Da es im Damenturnier nur noch acht Paarungen sind nenne ich mal alle:

Goryachkina-Stefanova

Kashlinskaya-Saduakassova

Dzagnidze-Shuvalova

Paehtz-Anna Muzychuk

Mariya Muzychuk-Kosteniuk

Batsiashvili-Gunina

Tan Zhongyi-Khademalsharieh

Assaubayeva-Lagno

Ich wage mal eine sichere Prognose: (mindestens) eine Spielerin, deren Nachname mit a endet, erreicht das Halbfinale – die Siegerinnen der ersten beiden Matches treffen im Viertelfinale aufeinander. Das gilt auch danach, Sektion 3 gegen 4, 5 gegen 6 und 7 gegen 8. Für Paehtz könnte es mit Shuvalova und dann Stefanova oder Saduakassova weitergehen, im Finale oder Match um Platz 3 hätte es sich wieder ausgeovat. Muzychuk-Muzychuk kann übrigens nur in Finale oder Match um Platz 3 vorkommen.

Weiter geht es bereits heute, gestern war Ruhetag.