Mai 13, 2024

Sport und die Vereinheitlichung der Psychologie (III)

 

Sport und die Vereinheitlichung der Psychologie (III)
Neue Entwicklungen der Grand Unification Perspective of Psychology 

Dr. Reinhard Munzert 
(vormals Universität Erlangen-Nürnberg, Deutsche Sporthochschule Köln, Gründer und Leiter der Akademie für Schach und Wissenschaft Baden-Baden)

Veröffentlicht in der sportwissenschaftlichen Fachzeitschrift Sportonomics ( Volume 4, 1998, No. 2, June, Seiten 97-104); der wegweisende Artikel wird hier in mehreren Teilen zugänglich gemacht. Selbstverständlich ist Wettkampf-Schach auch Sport.

Teil I

https://www.chess-international.com/?p=73596 

 Teil II

Sport und die Vereinheitlichung der Psychologie (II)

 

Bisher erfolgte Schritte der Vereinheitlichung 


Auf dem Weg zur Vereinheitlichung der Psychologie wurden bisher folgende Schritte unternommen: Darstellung der Beziehungen zwischen Kognitiver Psychologie und Handlungspsychologie und Verbindung der Menschenbilder dieser Ansätze. Unterschiede, Ähnlichkeiten und Ergänzungsmöglichkeiten wesentlicher Positionen wurden herausgearbeitet und am Beispiel des Schachs und des Sports aufgezeigt (Munzert 1984, 1993a,b). Erstellung und Diskussion von Vorgehensweisen zur Vereinigung der Hauptströmungen; Auswahl einer erfolgversprechenden Realisierungsmöglichkeit. Ein gemeinsames Menschenbild für alle Hauptströmungen der Psychologie wurde vorgeschlagen. Des weiteren erfolgte die Entwicklung und vorläufige Auswahl von Konzeptfamilien als Komponenten einer umfassenden Psychologie. Schließlich wurden Basismechanismen sowie zwölf Prinzipien bzw. allgemeine Charakteristiken psychischen Geschehens dargestellt.

Hinzu kommen noch zwei vom Verfasser angeregte und betreute Diplomarbeiten: Schmidt (1985) untersucht Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen den Hauptströmungen sowie Integrierungsmöglichkeiten; Schulte-Mattler (1993) befaßt sich aus der Sicht der GUPers mit Aggression im Sport.

Auch in einem Anwendungsfeld – meiner Praxis für Sportpsychologie, Handlungs- und Innovationsberatung in Erlangen – verwende ich einen integrierten Ansatz. Die von mir entwickelte Handlungsberatung vereint auf kognitiv-handlungspsychologischer Basis Elemente und Verfahren aller Hauptströmungen. – Auf einige dieser Entwicklungen möchte ich nun eingehen.

Die Verbindung von Kognitiver Psychologie und Handlungspsychologie als Basis für eine Integration der Psychologie

Meines Erachtens spricht viel für eine Verknüpfung von Kognitiver Psychologie und Handlungspsychologie. Angesichts vielfältiger Beziehungen sowie zahlreicher Übereinstimmungen zwischen beiden Ansätzen bei der Erforschung und Beschreibung von Kognitionen und Aktivitäten erachte ich es als sinnvoll, beide Positionen als eine Hauptströmung der Psychologie zu betrachten und für sie ein gemeinsames Menschenbild (siehe unten) zu konzipieren (Munzert 1996). Die beiden Ansätze verbindet viel mehr, als sie trennt; sie ähneln sich mehr, als sie sich unterscheiden; sie ergänzen sich vortrefflich. Man könnte sogar sagen, daß sie für eine adäquate Beschreibung und Erklärung psychischer Vorgänge – auch im Sport – geradezu aufeinander angewiesen sind. Beispielsweise arbeiten das kognitive System und das Handlungssystem zusammen und durchdringen einander. Ein großer Teil menschlicher Informationsverarbeitung bzw. Kognition ist handlungsorientiert. Oft findet eine kombinierte Informationsverarbeitung und Handlungsausführung statt (eingehend dargestellt in Munzert 1997).

Deshalb plädiere ich dafür, Kognitive Psychologie und Handlungspsychologie – statt getrennt – als gemeinsame Strömung zu verstehen und als Kognitive und Handlungspsychologie zu bezeichnen.

Ein gemeinsames Menschenbild für Kognitive Psychologie und Handlungspsychologie

Ein wichtiger Schritt war die Erstellung eines gemeinsamen Menschenbildes für Kognitive Psychologie und Handlungspsychologie. Aus der Verbindung der Menschenbilder dieser Ansätze kann meines Erachtens eine zutreffende, nahezu umfassende (und in aktueller psychologischer Terminologie beschreibbare) Vorstellung vom menschlichen Wesen entstehen. Deshalb möchte ich ein psychologisches Menschenbild vorschlagen, welches den Menschen primär als Integriertes Informationsverarbeitungs- und Handlungssystem (II&HS) betrachtet.

 

Update 2023 : Mittlerweile verwende ich die Bezeichnung: Ganzheitliches Informationsverarbeitungs- und Handlungssystem (GI&HS).

 

Die flexible Basis-Einheit zur Integration verschiedener Menschenbilder 

Es gibt Dutzende, ja Hunderte von Aussagen der Psychologie über den Menschen. Betrachtet man die Vielzahl von Kernannahmen, so stellt sich die Frage, ob man die relevanten Aspekte überhaupt zu einer angemessenen und dennoch übersichtlichen Vorstellung vom Menschen verbinden kann. Ich sehe die folgende Möglichkeit: Mit Hilfe der obigen Konzeption ist man in der Lage, wesentliche Aspekte anderer Menschenbilder integrativ aufzunehmen. Auf der Grundlage dieser flexibel ergänzbaren Basis-Einheit sind mehrere Erweiterungen möglich, beispielsweise: 
Der Mensch als 
o lernendes und sich entwickelndes GI&HS 
o lustsuchendes und unlustvermeidendes GI&HS 
o motiv- und emotionsaktiviertes GI&HS 
o intelligentes, kreativ-intuitives GI&HS 
o zeitweise/teilweise irrationales und ambivalentes GI&HS 
o Normen berücksichtigendes GI&HS 
o kontextsensitives, aktiv-adaptives GI&HS 
o sich selbst organisierendes, dynamisches GI&HS 
o „chaotisches“ (non-lineares) GI&HS 

Vorschlag für ein erstes einheitliches Menschenbild der Psychologie 

Zudem kann die Basis-Einheit als Grundlage für ein erstes gemeinsames Menschenbild der Hauptströmungen dienen. Ich möchte deshalb ein einheitliches, übergreifendes und dennoch übersichtliches Menschenbild der Psychologie zur Diskussion stellen: Der Mensch als lernendes, kreatives, Befriedigung anstrebendes, ganzheitliches Informationsverarbeitungs- und Handlungssystem. – Diese Sichtweise erscheint mir auch für sportpsychologische Belange geeignet. 

Man kann also, wenn man eine zusammenfassende und möglichst umfassende Darstellung anstrebt, auf diese – immerhin in weniger als einem Dutzend Wörtern beschreibbare – Konzeption des Menschen zurückzugreifen. Dies dürfte bislang der beste Weg sein zwischen der verwirrenden Vielfalt der Menschenbilder und Kernaussagen einerseits und der einäugigen Auswahl eines reduzierten Menschenbildes andererseits. 

Wird fortgesetzt

Dr. Reinhard Munzert 2023