Oktober 10, 2024

KKK – Kurz und knapp zum Kandidatenturnier

Drei weitere Runden sind gespielt, Donnerstag ist Ruhetag. Was hat sich in der Tabelle getan? Bei Halbzeit war das Feld dreigeteilt, auch nun ist es dreigeteilt aber anders sortiert: nicht mehr 2+4+2 sondern 1+3+4. Insgesamt drei Spieler sind quasi „abgestiegen“, der nun einsame ist damit sicher einverstanden – das suggeriert jedenfalls das Titelbild. Alle Fotos auf Flickr von Lennart Ootes/FIDE.

So steht es nun: Nepomniachtchi 6.5/10, Caruana, Vachier-Lagrave, Giri 5.5, Wang Hao und Grischuk 4.5, Ding Liren und Alekseenko 4. Man mag einwenden, dass das Feld doch viergeteilt ist – aber ein halber Punkt Unterschied zwischen Spielern, die das Ding wohl nicht mehr gewinnen können, ist ziemlich irrelevant. Absteiger sind MVL sowie Wang Hao und Grischuk, für Caruana und Giri sieht es leicht besser aus als bei Halbzeit: weiterhin ein Punkt Rückstand, aber nur noch auf einen Spieler.

Zunächst ein kurzer und knackiger Kommentar zu den turnierrelevante(ste)n Partien in Runde 8-10, womöglich etwas gekünstelt:

Runde 8: Kasimdzhanov kann Komputeranalyse (war aber nicht, oder nur indirekt partieentscheidend).

Runde 9: Katalanisch ist klasse.

Runde 10: Katalanisch ist klasse (war das von Nepomniachtchi Katalanisch?).

Fehlt da noch eine kleine deutsche Komponente? Vielleicht „Kanzler-Kandidatin Kramp-Karrenbauer?“?  Nein, wenn das mal aktuell war dann nicht in den letzten Tagen und Wochen, Kakophonie und Chaos der aktuellen Kandidatenkür kommentiere ich auch nicht (oder ist „kein Kommentar“ ein Kommentar?). Jedenfalls hat es nichts mit Schach zu tun, ich muss wohl Keymer in den Bericht einbauen – vielleicht geht das.

Erst ein paar Fotos vorab:

Zu diesem Zeitpunkt führte Vachier-Lagrave nach Tiebreak vor Nepomniachtchi – wohl deshalb war er bei dieser Pressekonferenz dabei. Nun ein paar Sekundanten, schon Überleitung zu Runde 8:

Caruana hat den diesbezüglich erfahrenen und bereits erwähnten Kasimdzhanov, das sind wohl dessen Notizen zu einer Najdorf-sizilianischen Variante.

Vachier-Lagraves Sekundant konnte da nicht, oder nur alphabetisch mithalten. Er hat zwar auch Erfahrung in WM-Zyklen, aber in anderer Rolle und aus dem letzten Jahrtausend. Quatsch, natürlich war Karpov in anderer Rolle vor Ort – MVL hat offenbar Sebastien Mazé in Jekaterinburg und Bacrot in Frankreich.

Giri hat mit Max Warmerdam einen neuen und recht unerfahrenen Sekundanten, der aber auch seine Hausaufgaben gemacht hatte.

Runde 8:

Caruana-MVL 1-0 könnte man sehr knapp beschreiben: Weiß hatte ein Remisendspiel vorbereitet, in dem Schwarz dann einen Fehler machte. Aber da dieses Remisendspiel auf Umwegen entstand, doch etwas mehr zur Partie. Man konnte lesen, dass dem Franzosen seine Nibelungentreue zum Najdorf-Sizilianer zum Verhängnis wurde. Das stimmt nicht unbedingt: in der ersten Partiephase spielte er ohne Computer gegen Kasimdzhanov mit Computer, und dieses Duell endete Remis. Weder 16.c3!? (zuvor selten) noch das Figurenopfer 18.Lc4!? (neu) konnte die Mutter aller Bauernraub-Varianten widerlegen – MVL brauchte einige Bedenkzeit, aber die hatte er ja da beide zuvor 15 bekannte Züge herunterblitzten.

Aus zwei Gründen hat MVL das dann doch verloren, zuerst der zweite: das Endspiel mit aus seiner Sicht Springer und Bauer gegen Turm und Bauer war laut Tablebases Remis, aber er konnte das letztendlich nicht beweisen. In diesem Sinne fiel die Entscheidung im 55. und nochmals im 62. Zug – dazwischen war es wieder einige Züge lang Remis, da Caruana auch nicht perfekt spielte. 

In anderer Hinsicht fiel die Entscheidung womöglich schon im 26. Zug: das schwarze Qualitätsopfer 26.-Se4 war unnötig, 26.-Ta7 war einerseits hässlich, andererseits wohl (sagte auch Caruana hinterher) simpel Remis: dann kann Weiß zwar wohl zwei geopferte Bauern zurückgewinnen, aber zwischenzeitlich bringt Schwarz seinen König in Sicherheit und entwickelt seine Figuren. Wurde MVL zum Verhängnis, dass „man“ in dieser Variante mit Schwarz oft eine Qualität opfert, wie auch in anderen Najdorf-Abspielen und ebenso in seiner anderen Lieblingseröffnung Grünfeld-Indisch?

Wer hatte zuvor mal in der Najdorf-sizilianischen Bauernraub-Variante in einer wichtigen Partie eine Qualität geopfert und danach das Endspiel verloren? Jedenfalls Vincent Keymer 2018 auf der Isle of Man gegen Emil Sutovsky, da war auch das Qualitätsopfer noch wohlbekannte Theorie. Dadurch hatte er eine GM-Norm verpasst – wobei man da die nächste Chance eventuell schon einen Monat später bekommt, später wurde Keymer dann auch Großmeister. Für ein WM-Match kann man sich dagegen nur alle zwei Jahre qualifizieren. 

In dieser Partie entschied ein weisser Freibauer, sie hatte damit auch Ähnlichkeiten zur anderen Entscheidung in Runde 8 in Jekaterinburg: Alekseenko-Grischuk 1-0!. Auch das war zuvor eine Bauernraub-Variante auf b2, allerdings im Franzosen (bekannt vor allem aus Nakamura-Partien 2011 und 2013, aber auch Grischuk hatte das schon einmal auf dem Brett). Der andere Unterschied: hier hatte Weiß ab dem 36. und bis zum 74. und letzten Zug eine Qualität weniger, konnte das aber verkraften.

Auch Alekseenko zeige ich individuell, schließlich hat er damit sein Turnierziel vielleicht schon erreicht: mindestens eine Partie im Kandidatenturnier gewinnen, das hat er nun Landsmann Grischuk voraus. Das andere Ziel „jedenfalls nicht alleine Letzter“ ist auch weiterhin realistisch. Tags darauf, da entstand das Foto, konnte er gegen Caruana Remis halten. Übrigens bewusst dieses Foto mit viel Drumherum – unklar, ob es derlei Alekseenko-Fotos auch in zukünftigen Jahren geben wird.

Runde 9:

Giri – Wang Hao 1-0, Foto nach 39.Sxf7. Andere Weißspieler opferten in dieser Runde munter drauflos, Giri machte das nicht sondern gewann entscheidend Material – geradlinig und ohne Umwege. Wie eingangs erwähnt, es war Katalanisch. Lange stand Giri nur leicht besser, nach eigener Aussage hinterher rechnete er nicht unbedingt mit dem vollen Punkt. Aber dann stand er klar besser. 

Livekommentator Carlsen lästerte erst (keine Punkte wenn man richtig tippt, wer mit Weiß kein Material opferte), hinterher war er voll des Lobes über Giri. Auf Twitter äusserten sich auch Landsleute von Anish Giri – Benjamin Bok (wohl aus den USA) sowie Max Warmerdam (aus Jekaterinburg). Keine Ahnung was Erwin l’Ami momentan macht, offenbar weder sekundieren noch twitschern.

Twitter-Kommentar auch zu Grischuk-Nepomniachtchi 1/2: „Nepo will not be able to draw his way to a match against @MagnusCarlsen, but I suspect he probably knows that.“. Das war Nigel Short, wohl auch aus der Rubrik „mich gibt es auch noch“. Ob Nepo das zur Kenntnis nahm, weiß vielleicht nur er selbst, jedenfalls tags darauf:

Runde 10:

Nepomniachtchi-Alekseenko 1-0 – das Ergebnis keine Überraschung, vielleicht wie es zustande kam: schon nach 11 Zügen stand er klar besser, vielleicht bereits auf Gewinn. Auf dem amerikanischen und damit Caruana-freundlichen chess.com behaupteten einige im Kommentarbereich – schon vor und nun erst recht nach der Runde – dass die beiden Russen das Ergebnis schon vor der Partie kannten. Erinnerungen werden wach an das Londoner Kandidatenturnier 2013, damals hatte die (oder ein Teil der) Carlsen-Fanbrigade die Atmosphäre in Schachforen tagelang vergiftet da beinahe das „unmögliche“ eintrat: nicht Carlsen sondern Kramnik gewinnt und qualifiziert sich für ein (bei ihm noch ein) WM-Match gegen Anand.

Was war vielleicht tatsächlich passiert? Alekseenko wollte Nepos Vorbereitung ausweichen und war dann letztendlich selbst gar nicht vorbereitet: schon ab dem 4. Zug grübelte er, der 8. und erst recht der 10. Zug waren suboptimal. 8.-Le7?! (nach 8 Minuten) ist aus Anfängersicht logisch: so schnell wie möglich rochieren und dann ist der Damenflügel an der Reihe. Aber hier musste er wohl erst mit 8.-Dc7 (oder gar dem krumm wirkenden 8.-Ta7) -b6 oder -b5 nebst -Lb7 vorbereiten. Nach 10.d4 cxd4?! 11.Sxd4 stand Weiß laut Engines bereits klar besser: alle weissen Figuren stehen etwas besser als die schwarzen, aber eben alle (oder fast alle, Sc3 und Sf6 sind wohl gleichwertig). Außerdem kann er nun den Lc1 sofort entwickeln, beim Lc8 nicht der Fall. War das – d2-d4 erst im zehnten Zug – ein Katalane? Es war jedenfalls eine katalanische Struktur. Nach 31 Zügen hatte Alekseenko genug gesehen.

Zuvor spielte Alekseenko auf 1.c4 fast immer 1.-e5, nun 1.c4 Sf6 2.g3 e6 3.Lg2 d5 – soweit kannte er es. 

Ausblick:

Caruana sagte „A one-point lead isn’t insurmountable“ (frei übersetzt: noch ist New York nicht verloren). Den Beweis kann er Freitag liefern, allerdings hat er Schwarz gegen Nepomniachtchi. Giri erwähnte, dass Nepo in den verbleibenden vier Runden immer zwei Gegner hat: neben Caruana, Wang Hao, Vachier-Lagrave und Ding Liren auch Nepomniachtchi, Nepomniachtchi, Nepomniachtchi und Nepomniachtchi. Gegen die Chinesen hat er Schwarz, gegen den Franzosen ebenfalls Weiß. Auch von Giri ist es vielleicht Zweckoptimismus in eigener Sache, wobei Nepomniachtchi in der Vergangenheit bewiesen hat, dass er sich selbst schlagen kann (ebenso MVL, der es auch diesmal zu Beginn der Rückrunde bewies). Das andere verbleibende Favoritenduell ist Caruana-Giri in Runde 12 (Ding Liren ist wohl frühestens in zwei Jahren wieder Mit-Favorit in einem Kandidatenturnier).

Warten wir ab, was passiert. Sicher ist nur, dass Sonntag dann der nächste und letzte Ruhetag ist (jedenfalls wenn in Corona-Zeiten irgendwas sicher ist).