Von GM Hertneck
Es ist so weit – nach 4 Jahren Pause findet in der Münchener Schachakademie am 13. und 14. Juli wieder ein Shogi-Turnier mitten in München statt. Die Organisatoren sind Großmeister Gerald Hertneck und der Mathematiker Peter Hingley – ein Urgestein der Münchener Shogi-Szene.
Schachturniere gibt es viele hierzulande, doch Shogi-Turniere nur wenige. Woran liegt das? Ganz klar an der geringen Verbreitung von Shogi in Deutschland. Dabei ist Shogi, das japanische Schach, dem europäischen Schach in seinem Gehalt und seiner Harmonie keineswegs unterlegen. Im Gegenteil: durch das Wiedereinsetzen von geschlagenen Steinen hat es viel mehr dynamische Möglichkeiten als Schach. In der Praxis funktioniert das so: geschlagene Steine werden rechts – für den Gegner gut sichtbar – neben das Brett gelegt. Statt eines Zuges auf dem Brett kann ein Stein auf einem fast beliebigen Feld eingesetzt werden, und zwar sowohl mit Schach (was oft vorkommt) als auch mit Matt (wovon viele träumen). Es gibt nur wenige Beschränkungen für das Einsetzen – zum Beispiel darf kein Doppelbauer eingesetzt werden, dies führt nach Turnierregeln zum sofortigen Verlust der Partie. Manchmal passiert es, dass eine Seite nach und nach sein ganzes Material einsetzt, um immer neue Drohungen im Mattangriff zu schaffen, und auf der gegnerischen Seite sich das geschlagene Material am Brettrand sammelt, weil gar keine Zeit vorhanden ist, es einzusetzen. Wenn dieser verlustreiche Angriff dann scheitert, gibt man am besten auf.
Im Shogi gibt es aus diesem Grunde auch kein Endspiel, so wie wir es im Schach kennen. Denn das Material reduziert sich im Shogi nicht, da es ja nicht (dauerhaft) vom Brett genommen wird. Dadurch geht zwar der Reiz verloren, dasss man mit feinem Spiel und unter optimaler Koordinierung aller verbliebenen Figuren noch den Gewinn im Endspiel erzielt. Doch umgekehrt sinkt damit auch die Remisbreite erheblich. Im Shogi gibt es nur zwei Möglichkeiten, wie eine Partie Remis ausgeht: durch mehrfache Zugwiederholung (die als unfein gilt) oder wenn beide Könige bei annähernd gleichem Material auf die gegnerische Grundreihe vorgedrungen sind. Dies liegt daran, dass dann in der Regel kein Matt mehr möglich ist. A propos Matt – im Shogi spielt dieses ursprüngliche Spielziel eine weit größere Rolle als im Schach. Natürlich wird auch im Schach auf Matt gespielt, aber im Shogi gibt es im Grunde gar kein anderes Ziel! Natürlich geht es auch im Shogi darum, Material zu gewinnen, aber nur um dieses später im Königsangriff erfolgreich einzusetzen. Im Shogi gibt es keine Partie ohne Königsangriff, im Schach ist dies dagegen durchaus üblich.
Was Shogi für westliche Schachspieler gewöhnungsbedürftig macht, sind folgende Faktoren:
– Spielsteine: es gibt keine gedrechselten Figuren, die sich deutlich voneinander unterscheiden, sondern man spielt mit flachen Spielsteinen, die vorne eine Spitze haben, um anzuzeigen, zu welchem Lager sie gehören. Es gibt auch kein schwarz und weiß, sondern alle Steine haben dieselbe Farbe. Das gilt für die Figuren wie für die Felder.
– Unterscheidung: Diese Steine sind beschriftet mit japanischen Schriftzeichen. Sie unterscheiden sich auch in der Größe. Der größte Stein ist der König und der kleinste der Bauer. In der Praxis ist es für ungeübte Spieler manchmal schwierig, die Steine und ihre Gangarten auseinander zu halten.
– Figuren: Es gibt Steine, die es im Schach nicht gibt, und umgekehrt. Im Shogi gibt es keine Dame. Dafür gibt es im Schach keinen Gold- und Silber-General und keine Lanze. Im folgenden sind die Figuren mit ihren Schriftzeichen abgebildet:
– Gangart: Die in beiden Spielen identischen Figuren ziehen nicht immer identisch, König, Läufer und Turm schon, aber Bauer und Springer nicht. Im Schach zieht der Springer in alle Richtungen, im Shogi nur nach vorne. Im Schach schlägt der Bauer schräg, im Shogi schlägt er geradeaus.
– Spielfeld: Man muss nicht nur die Steine auf dem Brett, sondern auch die neben dem Brett im Auge behalten, und das sind oft die gefährlicheren! Im Shogi ist es oft noch wichtiger als im Schach, auf schwache Punkte zu achten, weil dort gern ein Stein eingesetzt wird, und dann unangenehme Drohungen entwickelt.
– Rochade: Im Shogi gibt es nur eine künstliche Rochade, d.h. der König muss sich zu Fuß auf den „Damenflügel“ oder „Königsflügel“ begeben. Für eine ordentliche Rochadestellung müssen in der Regel mindestens 6 Tempi investiert werden, oft sogar noch mehr. Der König braucht auch immer Verteidiger (Gold und Silber) in seiner Nähe.
– Umwandlung: Die Umwandlung (oder Promotion) ist völlig anders geregelt als im Schach. Im Schach wandelt sich der Bauer auf der letzten Reihe in eine Dame um. Im Shogi können sich ganz viele Figuren umwandeln, und zwar standardmäßig in einen Gold-Offizier. Und zwar nicht nur auf der letzten Reihe, sondern auf den letzten drei Reihen. Turm und Läufer wandeln nochmal anders um, was einen zusätzlichen Reiz ausmacht.
Nun denken sich wahrscheinlich viele Leser: das ist mir zu kompliziert, da bleibe ich lieber beim Schach. Doch genau das Gegenteil ist zu empfehlen: Shogi bietet völlig neue Möglichkeiten, verlässt ausgetretene Pfade und stellt eine Bereicherung gegenüber dem klassischen Schach dar!
Shogi hat auch eine ähnlich lange Geschichte wie Schach, und die ersten aufgezeichneten Partien sind Jahrhunderte alt, so wie bei uns. Natürlich wurde Shogi auch nicht vom europäischen Schach abgeleitet, sondern vielmehr entspringt es einer anderen Entwicklungslinie des indischen Urschachs Da es in Asien viele Schachvariationen gibt, nimmt man an, dass alle auf das indische Vierschach Chaturanga zurückzuführen sind. Die am höchsten entwickelten sind eben Shogi und das Chinesische Schach.
Zurück zum Turnier in München. Die Ausschreibung ist veröffentlicht unter http://www.shogideutschland.de/Turniere/Muenchen_2019A.html. Aktuell sind 10 Teilnehmer angemeldet. Gespielt wird in der Münchener Schachakademie am Isartorplatz. Anmeldungen werden noch entgegen genommen.
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