April 18, 2024

Gedanken zum DSB-Kongress in Berlin

Herbert Bastian – Nach 2017 habe ich zum ersten Mal wieder an einem DSB-Kongress teilgenommen, was den Vorteil mit sich gebracht hat, weniger auf die Details zu achten und mehr aus der Distanz zu beobachten. So werden übergeordnete Entwicklungen besser sichtbar.

Herbert Bastian

Was mich am meisten überrascht hat, war das engagierte und herausfordernde Auftreten junger Frauen, das ich so noch nie auf einem DSB-Kongress erlebt habe und bisher nur von der Schachjugend kannte. Auch wenn manche Beiträge einen Überschuss an Emotion und einen Mangel an rationalem Abwägen erkennen ließen, hat dieser frische Wind dem Kongress ausgesprochen gut getan! Frauen machen die Hälfte unserer Bevölkerung aus und bieten dadurch das größte noch unerschlossene Potential für unsere Schachvereine.

Erstmals seit der langen und wechselvollen Geschichte des Deutschen Schachbundes steht nun eine Frau an der Spitze des Verbandes! Was das für die Zukunft bedeutet, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen, weil es zuerst einmal darum gehen wird, den ins Stocken geratenen „trägen Tanker“ DSB finanziell wieder flott zu machen und verlorenes Vertrauen wieder aufzubauen. Ingrid Lauterbach übernimmt die schwere Aufgabe nach einem Vorvorgänger, der sich öfter dem Vorwurf ausgesetzt sah, sich um zu vieles zu kümmern, und einem Vorgänger, der vielleicht zu vertrauensvoll delegiert hat. Auf Grund ihrer beruflichen Erfahrungen traue ich Ingrid zu, den richtigen Mittelweg zwischen beiden Extremen zu finden.

Es gibt weltweit wahrscheinlich keinen weiteren nationalen Verband mit einer so starken Breitenschachbewegung wie im Deutschen Schachbund. Das ist eine Besonderheit, die für jedes Präsidium eine Herausforderung darstellt. Die einfache Aufgabenteilung (DSB = Spitzenschach, Verbände = Breitenschach) funktioniert schon lange nicht mehr, weil das Breitenschach, nicht zuletzt durch die erfolgreiche DSAM, erhebliche Ressourcen erfordert. Andererseits sind die Erwartungen der Öffentlichkeit auf Erfolge des Spitzenschachs gerichtet. Beidem gerecht zu werden verlangt hohen Einsatz der gewählten Funktionäre und eine gut funktionierende Hauptamtlichkeit.

In den 1950er Jahren gab es im Deutschen Schachbund eine erbitterte Diskussion über die künftige Ausrichtung, die zugunsten der Angliederung an den Deutschen Sportbund und damit des Schachsports und zuungunsten der Schachkultur ausgegangen ist. Obwohl das in meinen Augen eine richtige Entscheidung war, halte ich das zeitweilig totale Vernachlässigen  der Schachkultur für einen strategischen Fehler, der durch das Einbeziehungen von mehr kulturellen Elementen in alle Veranstaltungen korrigiert werden sollte. Der in den letzten Jahren durchgeführte Schachgipfel war eine richtige und gute, auch kulturelle Entwicklung, die fortgesetzt werden muss und bei sorgfältiger und realistischer Planung nach meiner Überzeugung fortgeführt werden kann. Zur Schachkultur gehören beispielsweise die Schachgeschichte, ein immer beliebter werdendes Betätigungsfeld, die Gemeinschaften der Schachsammler verschiedener Couleur oder die Aktivitäten der sehr aktiven Emanuel-Lasker-Gesellschaft.

Mich interessiert besonders die Frage, welche Vorschläge aus dem Bereich Verbandsentwicklung kommen werden. Mein Rat an den neuen Vizepräsidenten Guido Springer wäre, diese Aufgabe nicht ausschließlich mit etablierten Personen anzugehen, sondern einen down-top-Prozess anzustoßen, also die Basis in den Prozess einzubinden und so gemeinsam mit den Mitgliedern das künftige Verbandsprogramm zu entwickeln. Das anstehende Jubiläum des DSB (150 Jahre in 2027) gibt eine gute Zielmarke ab, um bis dahin brauchbare Ideen zu entwickeln, wie man das Vereinsschach stärken kann, denn die Vereine sind die Basis des DSB. Ergänzend wären neue Formen der Mitgliedschaft zu prüfen. Bei allem sollte das Schulschach stets mitbetrachtet werden, wo noch Klärungsbedarf hinsichtlich Zielsetzung und Integration in das schulische Geschehen besteht.

Viele Helden der Vergangenheit sind inzwischen abgetreten, und in nicht allen Fällen ist der Wandel glücklich verlaufen. Das Ehrenamt bietet Chancen zur Verwirklichung eigener Ideen, die man im Berufsleben nicht immer hat, aber es bietet auch Verführungen, weil man wegen geringerer Kontrolle mehr Freiheiten hat. Wenn bestehende Regeln verletzt werden, kann das unangenehme Konsequenzen haben. Es ist sehr wichtig, dass das neue Präsidium die Fehler der Vergangenheit erkennt und Vorkehrungen trifft, dass sie sich nicht wiederholen.

Wenn wir über ehrenamtlich tätige Personen urteilen, sollten wir mit genügendem Abstand nicht nur auf einzelne Handlungen schauen, sondern ihr Gesamtwerk betrachten und wenn möglich einen versöhnlichen Weg einschlagen. Das gilt ganz besonders für den scheidenden Präsidenten Ullrich Krause, der nach meiner Einschätzung für eine sehr positive Entwicklung im Deutschen Schachbund steht und in kurzer Zeit viele Anstöße zur Modernisierung des Verbandes gegeben hat. Es waren viele schwierige Probleme gegen erheblichen Widerstand zu lösen. Zwar gab es durch noch aufzuklärende Umstände einen Rückschlag, aber davon wird sich der DSB erholen, und die positive Entwicklung wird sich fortsetzen. Hoffentlich wird es bald eine versöhnliche Entlastung in den noch offen stehenden Funktionen geben.

Es gilt nach wie vor die bekannte Weisheit, dass jede Krise eine Chance beinhaltet. Mit dem anstehenden Jubiläum 2027 hat der DSB sogar eine goldene Chance, auf allen Ebenen Aktivitäten anzuregen, die Mitglieder auf die Gestaltung des Jubiläumsjahres auszurichten und sie dafür zu motivieren.

Herbert Bastian