Juli 27, 2024

Weltcup-Schnipsel

Zwei Runden sind gespielt, noch sind 64 Spieler im Turnier. So viele Felder hat bekanntlich das Schachbrett. Zuvor waren es 128, da wurde – und das schon bei früheren Auflagen vor der Pandemie – quasi an zwei Brettern gespielt. Neu diesmal und es liegt eher nicht an der Pandemie: Davor waren es gar zweihundertsechs Spieler (siehe Titelbild). Das ist nicht zwei Exponent irgendwas, also bekamen 50 Spieler ein Freilos in der ersten Runde – nicht wie bei Turnieren mit ungerader Anzahl Teilnehmer der schlechteste, sondern die nominell besten. Konsequenz war auch, dass recht unbekannte IMs, FMs oder gar CMs nicht wie bei früheren Weltcups gegen Weltklassespieler verloren, sondern gegen Großmeister der zweiten Garnitur.

Im parallelen Damenturnier treten nur halb so viele Spielerinnen an – konsequenterweise müsste man auch den Eloschnitt halbieren aber das haben sie nicht ganz hinbekommen. Das heißt erstmals Weltcup, früher hieß es Weltmeisterschaft und die Siegerin war Weltmeisterin. Nun muss sie dafür auch noch, wie bei den Herren bzw. im „offenen Turnier“, das Kandidat(inn)enturnier und dann auch noch ein WM-Match gewinnen – jedenfalls diesbezüglich nun Gleichberechtigung der Geschlechter.

Das Foto habe ich ab der Turnierseite auf Flickr gefunden, weitere gibt es heute nicht auch wenn Auswahl durchaus vorhanden ist – insgesamt derzeit fast 1500 Fotos. Aber es wird eher ein Kurzbericht.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, auszuscheiden. Und zwar für alle, u.a. für Deutsche (das ist ja geschlechtsneutral), aber auch für einen Favoriten und einen Medienliebling – der deshalb auch als Favorit bezeichnet wurde. Kampflos ging schon zuvor, nun kam es häufiger vor – das liegt wiederum an der Pandemie. Ansonsten kann man nach zwei, vier, sechs, acht oder neun Partien ausscheiden.

Geografisch ist das Turnier bereits ausgedünnt. Dass Afrika nur noch spärlich vertreten ist war schon immer der Fall. Ägypten war in der zweiten Runde noch doppelt vertreten, da einer (Bassem Amin) ein Freilos bekam und zwei andere gegeneinander spielten. Da gewann nicht der Favorit Ahmed Adly, sondern der Außenseiter Abdelrahman Hesham – auch sonst gewann auch mal der nach Elo schlechtere Spieler.

Asien ist auch dezimiert: Dass China nur spärlich vertreten ist liegt wohl an der Pandemie. Dass Indonesien nicht mehr dabei ist liegt auch an der Pandemie: zwei und ein Delegationsmitglied testeten positiv und wurden disqualifiziert – ein Spieler vor, und einer während der Partie. Die beiden Damen verzichteten dann ebenfalls, eine von ihnen aus deutscher Sicht etwas zu spät. Aber es gibt ja noch andere Länder auf diesem Kontinent: Indien hatte Erfolgserlebnisse, eher als Spieler mit indischen Wurzeln aus anderen Ländern. Usbekistan hatte auch Erfolgserlebnisse – Kasimdzhanov spielt zwar lieber in Dortmund, aber er ist mittlerweile nicht mehr der einzige starke Spieler aus seiner zentralasiatischen Heimat. Wie viele Russen und Russinnen aus Sibirien und damit eigentlich ebenfalls aus Asien stammen, dazu habe ich nicht recherchiert.

Weiterhin nur Schnipsel, erst zu Runde 1: Oft war es eine klare Angelegenheit, z.B. in der S-Klasse: der Amerikaner Sam Sevian war von der recht ähnlichen Flagge seines malaysischen Gegners FM Sumant Subramaniam unbeeindruckt und gewann 2-0. Nebendran aber viel weiter vorne im Alphabet tat sich Benjamin Bok gegen seinen kirgisisischen Gegner IM Asyl Abdyjapar allerdings zunächst schwer, erst im Schnellschach ein Klassenunterschied. 

Die größte Überraschung gelang dem Engländer IM Ravia Hari: Die erste Partie gegen den etablierten GM Zvjaginsev gewann er glatt im Endspiel, tags darauf gewann er allerdings nur die erste Hälfte der zweiten Partie und verlor später doch. Also Schnellschach – wieder gewann er die erste Partie im Endspiel. Die zweite Partie war dann durchgehend ausgeglichen, auch wenn Zvjaginsev am Ende aufgab – „wenn ich nicht gewinne kann ich auch verlieren“? Dass Ravia Hari Schach spielen kann, hatte ja auch Falko Bindrich im europäischen Hybrid-Qualifier feststellen müssen.

Ein anderer Spieler mit indischen Wurzeln, Rekord-GM Abhimanyu Mishra, bemerkte dagegen dass die echte Schachwelt anders abläuft als die Blase ungarischer Normturniere. Wobei er eines durchaus kannte: der Gegner patzt im Endspiel – aber „the one and only“ Baadur Jobava vergab nur seinen gesamten Vorteil, und Mishra gab das Kompliment zurück. Die zweite Partie wurde dann Remis, Jobava war weiter, Mishra ausgeschieden.

Aus deutscher Sicht: Arik Braun und Rasmus Svane lösten ihre „Pflichtaufgaben“, Bluebaum war ohnehin für die zweite Runde gesetzt – wie auch Elisabeth Paehtz bei den Damen. Sie muss allerdings nun die deutschen Damenfarben alleine vertreten: Jana Schneider hatte gegen die nominell gleichwertige bzw. leicht bessere Indonesierin IM Medina Warda Aulia zweimal klar das Nachsehen.

Schon sind wir bei Runde 2: Da erwischte es als erstes Levon Aronian. Er hatte zwar offenbar nur Fieber und „Tonsilitis“ (dazu habe ich mal nicht Google befragt) und nicht Covid-19, dennoch verzichtete er mehr oder weniger freiwillig und sein australischer Gegner Bobby Cheng erreichte kampflos die nächste Runde – nach eigener Aussage hätte er lieber gespielt (und vermutlich verloren). Nach Ding Liren, der wohl gar nicht erst anreisen durfte, hat ein weiterer Kandidatenturnier-Kandidat damit nur noch zwei Qualifikationschancen (Grand Swiss und GP-Serie). Caruana erreichte dagegen locker die nächste Runde, allerdings nicht sorgenfrei: 15 Züge spielte er gegen den Indonesier GM Megaranto, dann war plötzlich in ausgeglichener Stellung Schluss – 1-0. Später wurde klar warum: während der Partie erfuhr Megaranto sein positives Testergebnis. Beide mussten sofort verschwinden und in Quarantäne. Caruana bekam später anscheinend grünes Licht und darf weiterspielen.

Damit hat – auch wenn Caruana doch außen vor bleibt – Covid und Covid-Angst nun auch Weltklassespieler erreicht. Zuvor war das nur ein, zwei oder fünfzehn Etagen tiefer der Fall: Antipov musste die russischen Meisterschaften bei Halbzeit nach positivem Corona-Test verlassen, Keymer spielte am Tegernsee eine Runde und dann Quarantäne (Corona-Fall in seiner Schulklasse). Und in meinem Verein waren einige infiziert oder in Quarantäne, letztes Jahr musste ein Gegner bei der bayerischen U12-Mannschaftsmeisterschaft nach Corona-Fall im Team einen Tag im Voraus absagen. Wie es in der Schachszene weiter geht ist „unklar“, aber hoppla: „Wie geht es weiter?“ kommt generell gegen Ende eines Artikels, soweit sind wir noch nicht.

Erst zu Matches, die – früher oder später – am Brett entschieden wurden: Dass Carlsen gewinnt weil der Gegner in Endspielen patzt ist bekannt – auch bei stärkeren Gegnern als dem Kroaten GM Martinovic (2548). Ein junger Inder hatte doch das Nachsehen: Gukesh verlor im Stichkampf gegen Daniil Düsentrieb Dubov. Seine ebenfalls jungen Landsleute Praggnanandhaa und Nihal Sarin erreichten dagegen gegen nominell leicht stärkere Gegner (Sargissian und das ehemalige Jungtalent Sjugirov) die nächste Runde. Für Ravia Hari war dagegen wiederum Schluss, allerdings erst nach Stichkampf gegen Bacrot – mit klassischer Bedenkzeit zwei Schwarzsiege, der IM konnte gegen den GM seinen Rückstand ausgleichen.

War da noch was bevor ich das deutsche Kapitel bzw. den deutschen Absatz schreibe? Ja, bei Sindarov-Firouzja gewann der Usbeke gegen den Neu-Franzosen. Irgendwie überlebte Alireza „Hype“ Firouzja mit klassischer Bedenkzeit, in den Zehnminutenpartien war der jüngere Spieler (Sindarov ist 15) dann klar besser und nutzte diesmal seine Chance. Aus Usbekistan gewann auch der „alte“ (25 Lenze) Vakhidov gegen Dominguez, sowie Abdusattorov gegen den nominell gleichwertigen Aravindh – bei Indien-Usbekistan muss halt einer gewinnen und einer verliert demnach. Vokhidov verlor allerdings glatt gegen Karjakin, sonst würde es auch zu verwirrend.

Zu den Deutschen: Arik Braun hatte gegen Boris Gelfand das Nachsehen, der Altmeister glänzte in der ersten Partie mit einem Springeropfer eher auf lange Sicht. Andere 50+ Spieler im Turnier sind weiterhin Kiril Georgiev (Sieg gegen Maghsoodloo), Krasenkow (der Alekseenko ausschaltete, nun spielt er gegen Praggnanandhaa) und bei den Damen Pia Cramling. Rasmus Svane verlor ebenfalls, aber erst in der mehrfach verlängerten Verlängerung gegen Cheparinov:

Doch noch ein Foto, im Armageddon musste es schnell schnell schnell gehen. Auf dem Brett stand Svane aus der Eröffnung heraus pleite, auf der Uhr hatte er Chancen – bis 60 Züge erreicht waren und Cheparinov mit Mehrdame Inkrement bekam, also gab Svane auf. Das Match war zuvor bereits dramatisch: zweimal – mit klassischer Bedenkzeit und dann im Blitz – führte Svane, aber der Bulgare konnte ausgleichen.

Bluebaum gewann dagegen gegen den Ungarn Erdos, durch Mattangriff in der zweiten Schnellpartie.

Bei den Damen bekam Elisabeth Paehtz es mit Nurgyul Salimova zu tun, ebenfalls Bulgarin. Nach eigener Aussage – und da will ich dann nicht widersprechen – ein Lotteriegewinn für Paehtz, kurz vor dem eventuellen Armageddon-Showdown.

Den gab es bei den Damen zwischen Ana Matnadze und Olga Badelka. Auf dem Brett gewann die Spanierin, auf der Uhr – und das entscheidet – dagegen die Weissrussin. Am Ende ein wildes Gehacke, zwei spanische Mehrtürme waren irrelevant, zwei weissrussische Mehrsekunden bedeuteten Spiel, Satz und Sieg. Beide hatten am Ende Figuren umgeworfen, Matnadze war die bessere Schachkeglerin aber das brachte nichts ein.

Wie geht es weiter? Mit Runde drei, die ersten Partien mit klassischer Bedenkzeit bereits weitgehend vorbei. Auch da gab es Überraschungen, aber das ist nicht mehr Thema dieses Berichts.