Mai 12, 2024

Olympiade Playoffs bisher

Eigentlich war ein Bericht bereits gestern geplant, aber da wäre es abends zu spät geworden. Daher nun ein Bericht über insgesamt acht Matches, bzw. 16 bzw. 15 und dreimal Armageddon. Der zweite Tag war ähnlich „gehaltvoll“ wie der erste. Wenn ich das Titelbild bearbeiten würde, dann könnte ich acht von zwölf Flaggen durchstreichen – darunter leider aber vom gesamten Matchverlauf her eher zurecht auch die deutsche. Übrig bleiben die USA, Russland, Polen und Indien – drei der vier Gruppensieger, nur Aserbaidschan ist nach dem bisher kuriosesten Armageddon ausgeschieden.

Ganz kurze Zusammenfassung vorab: Am ersten Tag gab es zweimal Armageddon und zweimal nicht. Im Armageddon siegten die Teams, die näher am Sieg ohne Armageddon waren – ja, das gilt auch für das Match mit deutscher Beteiligung. Die beiden anderen Matches hatten, jedenfalls was die reinen Ergebnisse betrifft, klare und damit sicher verdiente Sieger. Dabei haben praktisch immer die Teams gewonnen, die um den Einzug in die KO-Runde zuvor zittern mussten. Die Teams, die sich relativ sicher qualifiziert hatten, schieden dagegen aus.

Der zweite Tag begann mit, je nach Sichtweise, einer Internet-Kuriosität oder einem Skandal. Eigentlich gab es im ersten Match fünf Kuriositäten – das war genug, das zweite Match hat dann nicht stattgefunden. Dann zwei einseitige Matches (bzw. drei der insgesamt vier Matches waren einseitig). Dann nochmals zwei einseitige Matches unter unterschiedlichen Vorzeichen, also Armageddon – ein ungewöhnlicher, Entscheidung auf dem Brett, nicht etwa auf der Uhr. Entscheidung dabei „aus dem Nichts heraus“, und das umgekehrte Ergebnis war auch möglich.

Tag 1 „Preliminaries“ – die Gruppensieger hatten ja einen weiteren Ruhetag, die Zweiten und Dritten der Vorrunde trafen aufeinander.

Ungarn-Deutschland 3.5-2.5, 2.5-3.5, 1-0 – dieses Match etwas ausführlicher besprochen. Nur auf Eines konnte man sich verlassen: Daniel Friedlichman (im Pass steht Fridman) spielt relativ geräuschlos remis. Selbst das passte nicht zum Turnier zuvor: Er schaffte es nur in zwei von sieben Partien, fünfmal gewann er stattdessen. Überraschungen schon bei der deutschen Aufstellung: ohne den zuvor erfolgreichen Rasmus Svane, also der weniger erfolgreiche Dennis Wagner am Spitzenbrett, dafür mit Elisabeth Paehtz – laut den nach eigener Aussage gut informierten Perlen vom Bodensee gab es da vielleicht einen Zusammenhang. Laut Webcam spielte Frau Paehtz übrigens selbst und ließ sich nicht vertreten.

Weitere Überraschungen in den beiden Matches: Diesmal hat Lara Schulze ihre Verluststellungen nicht etwa gewonnen, sondern tatsächlich verloren. Ob die Stellungen noch verlorener waren als zuvor und/oder ob die Gegnerinnen Ticia Gara und Petra Papp (nerven)stärker war als einige zuvor, das lasse ich mal außen vor. Auch Roven Vogel, zuvor am Juniorenbrett recht erfolgreich, verlor zweimal. Das war allerdings nicht so unerwartet – Gegner Adam Kozak war zuvor ebenso erfolgreich und hatte nur gegen einen gewissen Kirill Shevchenko (zu dem komme ich noch) verloren. In der ersten Partie hatte Roven Vogel plötzlich Remischancen und musste dafür nach dem ersten Turm-Desperado (38.-Txh3+!) nur einen zweiten finden (39.-Th1+!) – das hätte allerdings nicht zur Logik der gesamten Partie gepasst.

Das waren (im Schnellschach) die schlechten Nachrichten aus deutscher Sicht, ohne gute Nachrichten hätte es keinen Armageddon gegeben. Im ersten Match gewann nur Elisabeth Paehtz – recht souverän mit Schwarz. Im zweiten Match gewannen zunächst Dennis Wagner und Annmarie Muetsch, jeweils im Angriff. Angesichts der bereits erwähnten deutschen Niederlagen stand es nun unentschieden, was nach der Niederlage zuvor nicht gereicht hätte. Freundlicherweise patzte dann Hoang Than Trang im Läuferendspiel gegen Elisabeth Paehtz. Sie trennte sich einen Zug zu spät von ihrem Freibauern (auf d3 und sie hatte Schwarz, aber der Bauer war sicher blockiert). Einen Zug zuvor wäre es in der Remisbreite geblieben, nun war der entstehende weiße a-Freibauer partieentscheidend.

Armageddon war demnach aus ungarischer Sicht unnötig. Anfangs wurde da dann durchaus auch Schach gespielt, später war das reine Nebensache. Tamas Banusz hatte Weiß und musste demnach gewinnen, tatsächlich stand er dann meistens besser bis gewonnen. Einmal (im 33. Zug) hatte er allerdings einen Turm eingestellt, im 38. und wie sich herausstellte vorletzten Zug gar seine Dame – egal, da zählte ohnehin nur noch die Uhr. Endstand dann – das wurde bereits mehrfach erwähnt – 0,3 Sekunden für Ungarn, nullkommanull Sekunden für Deutschland. Nach Maßstäben eines 100m-Laufs also ein glatter Sieg von Tamas Banusz.

Man kann es trotzdem als „Pech“ für Team Deutschland bezeichnen – aber Glück hatten (und brauchten) sie zuvor reichlich, nicht nur im zweiten Match der KO-Runde. Das war eben aufgebraucht.

Ukraine-China 3-3, 3-3, 1-0. Auch da gewann das Team die Bullet-Phase des Armageddons, das schon zuvor gewinnen konnte. Im ersten Match hatte China an den Damenbrettern reichlich Glück: Hou Yifan gewann aus verdächtiger Stellung heraus gegen Gaponenko. Schon zuvor hatte die Gelegenheitsspielerin eher nicht überzeugt – im Rundenturnier Remisen aus schlechterer Stellung gegen Khademalsharieh und auch Tatiana Melamed. Noch glücklicher war das Remis von Ju Wenjun gegen Natalia Zhukova: Abtausch um Abtausch schien die Partie dem Remis entgegen zu plätschern, vielleicht auch deswegen hatte Zhukova mit noch 1 1/2 Minuten auf der Uhr gar nicht erwogen, dass sie nun mehr als Dauerschach hatte – so kompliziert oder versteckt war der Mattangriff mit Dame und Springer eigentlich nicht. Ding Liren überlistete Ivanchuk im Damenendspiel, bzw. Chucky machte das selbst. Ausgleich für die Ukraine an den beiden Junior(inn)enbrettern.

Die konnten dann im Prinzip das zweite Match für die Ukraine entscheiden: Mariia Berdnyk hatte gegen Zhu Jiner kurz mal Remischancen, und Shevchenko stand gegen Liu Yan im Endspiel phasenweise gewonnen. Beides passte dabei nicht zur „Logik“ der Partien insgesamt. Fairerweise bzw. der Vollständigkeit halber: einen Moment lang stand Tan Zhongyi gegen Iulija Osmak auf Gewinn, insgesamt dominierte aber die Ukrainerin und gewann „zu Recht“.

Damit wieder Armageddon, diesmal am Juniorenbrett. Shevchenko gewann gegen Liu Yan souveräner als zuvor Banusz gegen Wagner – Endstand 27 zu null Sekunden. Dabei begann die entscheidende Phase mit beiderseits 45 Sekunden – Weißspieler Shevchenko hatte seinen Zeitvorteil zu Beginn also komplett aufgebraucht und war ab hier viel abgezockter als der Chinese. Zwei Gefahren drohten latent: dreifache Stellungswiederholung im Endspiel (was im Internet ja automatisch registriert und reklamiert wird) und auch die 50 Züge Regel, sieben Züge fehlten am Ende aus chinesischer Sicht. Übrigens stand Shevchenko am Ende auch auf dem Brett gewonnen, obwohl er nach 86.-Sa6+? auf 87.Lxa6 (die Figur gab es gratis) verzichtete.

Auch hier AU Armageddon-Unsinn, auch hier gewann (aus neutraler Sicht) „gefühlt“ der richtige Spieler und damit das richtige Team. Deutsche Quellen hätten sich, wenn überhaupt, wohl „leiser“ beschwert wenn Dennis Wagner sich auf diese Weise im Armageddon durchgesetzt hätte.

Die beiden anderen Matches nur kurz besprochen:

Armenien-Griechenland 4.5-1.5, 3.5-2.5

Griechenland hatte zwar Stavroula Tsolakidou, die beide Partien gewann. Aber bei Armenien schafften Levon Aronian und Anna Sargsyan dasselbe, im ersten Match gewannen auch noch Sargissian und Mkrtchian. Insgesamt ein ungefährdeter und souveräner Sieg.

Polen-Bulgarien 3.5-2.5, 4-2

Vom Ergebnis her ähnlich souverän, in den Partien ging es allerdings drunter und drüber. Nur ein Beispiel: im ersten Match machte Viktoria Radeva ihrem Vornamen keine Ehre und stolperte im Endspiel mit Mehrfigur in eine dreifache Stellungswiederholung. Insgesamt war vielleicht entscheidend, dass Team Polen von der staatlichen Lottogesellschaft gesponsort wird (oder jedenfalls wurde).

Tag 2 Viertelfinale

Indien-Armenien 3.5-2.5 und +-

Das erste Match hatte drei Teile: im Schach endete es 0,5-0,5 unentschieden – am Spitzenbrett zeigten Anand und Aronian ihre ganze A- oder Weltklasse und führten ein Turmendspiel sauber in den Remishafen, am Ende (König gegen König) konnten auch die grössten Remishasser nicht meckern. Die Kategorie grobe Fehler endete ebenfalls 2-2 unentschieden: Für Armenien (bzw. für Indien) entkorkte Sargissian 53.Dd7+??? Dxd7 Dame weg und 0-1, Mkrtchian erlaubte im Remisendspiel mit Türmen, Läufern und Minusbauer den Generalabtausch – und das Bauernendspiel war elementar verloren. Bei Indien hat Juniorin Vantika Agrawal einen Turm eingestellt (gegnerische Springergabel). Der Fehler von Humpy Koneru im Damenendspiel (entstanden aus einem Damen-, dann einem Bauernendspiel) war vielleicht weniger krass, aber letztendlich auch partieentscheidend. Unnötigerweise hat sie ihren letzten Bauern eingestellt, danach war es laut Tablebases meistens verloren, zwischendurch auch mal remis.

Warum haben sie eigentlich vom 55. bis zum 108. Zug weitergespielt, das Match war zu diesem Zeitpunkt doch schon entschieden? Entweder wussten sie das nicht, oder Danielian glaubte das nicht. Es gab ja noch die dritte Kategorie disconnect: 1-0 für Armenien, Vorteil Indien. Aus armenischer Sicht war es aber nicht die Schuld ihres Internets, sondern ein Serverproblem von chess.com. Daher protestierten sie, und nachdem der Protest abgewiesen wurde verzichteten sie auf das zweite Match. Disconnect gehört im Internet dazu, auch Indien war zuvor im Match gegen die Mongolei betroffen – gar doppelt. Das hatte am Ende keine Folgen, da sie danach China besiegten und so doch Gruppensieger wurden.

USA-Ukraine 4.5-1.5, 4-2

Insgesamt deutlich, daher bespreche ich nicht einzelne Partien.

Russland-Ungarn 5-1, 3-3

Das erste Match war auch deutlich, im zweiten rotierte Russland an den Damenbrettern (Lagno und Gunina statt Goryachkina und Kosteniuk) und das hatte (fast) Folgen. Gunina ist ohnehin unberechenbar, Lagno spazierte mit ihrer Dame etwas ziellos umher statt sie (im Remissinne) abzutauschen. Danach wurde aus einer Verlust- wieder eine Remisstellung, aber sie verdaddelte es erneut. Auch eine knappe russische Niederlage hätte Armageddon bedeutet (Brettpunkte/Höhe der Siege irrelevant), aber Shuvalova und Nepomniachtchi gewannen und so endete das zweite Match unentschieden. Am Spitzenbrett verlor Banusz, Armageddon-Heldenzocker tags zuvor, etwas „unnötig“ gegen Nepo.

Polen-Aserbaidschan 4-2, 1.5-4.5, 1-0

Wieder ging es drunter und drüber und danach war Polen Armageddon-Lottosieger. Zu den beiden Schnellschach-Matches könnte ich Romane schreiben, nur so viel: die Juniorinnen Balajayeva und Sliwicka spielten antizyklisch. Erst gewann Balajayeva für Aserbaidschan, dann Sliwicka für Polen – jeweils war es nur irrelevante Ergebniskosmetik.

Im Armageddon durften oder mussten diesmal die Damen antreten – die erfahrene Monika Socko und die weniger erfahrene Gunay Mammadzada. Zuvor endete ihre erste Schnellpartie eher geräuschlos unentschieden, die zweite verlor Socko trotz Mehrqualität fast aus der Eröffnung heraus und Computerurteil +6. Im Armageddon gewann dann Socko mit zwei gegen fünf Sekunden, wieso das denn? Nun, Matt beendet die Partie. Mammadzada bekommt nun ein Straftraining Thema Springergabeln: erst übersah sie 44.-Sd3+ mit Turmgewinn (das hatte Socko auch übersehen), und dann 58./59.-Sc3+ mit Abtausch der Leichtfiguren und (bei Vorteil auf der Uhr) unverlierbarem Turmendspiel. Kurios auch, dass der schwarze König auf h6 mattgesetzt wurde, zehn Züge zuvor stand er noch auf c7.

Weiter geht es im Halbfinale mit Russland-USA und Polen-Indien. Die erste Paarung ist wohl das vorgezogene Finale, in der zweiten ist – angesichts der bisherigen Abenteuer beider Teams – alles möglich.