Dezember 11, 2024

Ein doppeltes Buch, eins über das Leben, eines über Schachpartien


Die Nummer 1 der deutschen Schachelite heißt Elisabeth Pähtz. Sie hat endlich (ganz aktuell) den Titel Großmeisterin erhalten, die höchste Auszeichnung im Schach. Elisabeth Pähtz ist überhaupt die erste deutsche Schachspielerin, die diesen Titel errungen hat. Über sich, über ihre Schachprofession, über ihre Erlebnisse in der „Schachwelt“ hat die Thüringerin ein Buch veröffentlicht. In „Wer den vorletzten Fehler macht, gewinnt – Strategien für das Spiel des Lebens.“ (Westend Verlag) werden dem Leser zahlreiche Einblicke in Pähtz’ intensives Sportlerleben gewährt, wird dieser überrascht und schließlich sogar zum Nachspielen inspiriert. Eine Rezension von Frank Blenz.

Das Schachbrett hervorgekramt

Dass dem persönlichen Text nach etwas mehr als hundert Seiten zahlreiche Schachpartien als kurze Aufzeichnungen mit Kommentaren versehen folgen, war für mich wie ein Aufruf, doch selbst mal ihre Spiele „durchzugehen“ und in Selbstgesprächen darüber vielleicht etwas zu fachsimpeln. Gut, Fachsimpeln war es bei mir nicht, eher tüfteln und staunen. Dank der Großmeisterin Elisabeth Pähtz habe ich aber mein altes Schachbrett hervorgekramt und mich neugierig, demütig und respektvoll mit der überaus komplexen Therorie beschäftigt. Ja, Elisabeth Pähtz ist ausdrücklich zuzustimmen, dass sie für das Schachspielen schon ab dem Kindesalter wirbt. Das Brettspiel auf 64 Feldern ist ein wunderbares Spiel des Lebens.

Einerseits Leistung und Erfolg, andererseits Werben für Fehler
Wir jubeln gern den Siegern zu, nicht wahr? Wir sind zwar eine Gesellschaft der Sieger und Verlierer, letzteren Mitbürgern wird im Gegensatz zum Triumphierenden eher wenig Bewunderung entgegengebracht, im Fall der Niederlage gibt es für sie maximal Trost, mitunter drohen Hohn und Spott. Elisabeth Pähtz ficht das nicht an, sie, die oft siegt und sehr erfolgreich ist, wirbt für das Fehlermachen und das sich mit ihnen Auseinandersetzen. Ihr Fleiß, ihr Anerkennen, auf dem Weg zum Erfolg auch Niederlagen zu kassieren, wird sichtbar, wenn sie schreibt, Fehler seien Teil unseres Lebens und in unserer Gesellschaft eher weniger anerkannt. Zitat:

Was wäre die Welt ohne Fehler?…Manchmal frage ich mich, ob wir hier bei uns … nicht eine völlig falsche Kultur im Umgang mit Fehlern entwickelt haben.
Meinen Reim mache ich mir, abschweifend vom Drang nach dem Sieg. Denn ich stimme ihr herzlich zu, Fehlermachen, gar Verlieren ist so etwas wie Teilen. Der Sieger freut sich, der Verlierer ist traurig und gratuliert im Angesicht der Niederlage dem Gewinner. Das ist Teil des Ganzen – was wäre ein Spiel, welches stets mit Unentschieden endete? Im Schach heißt das 0:0 herrlich poetisch Remis oder Patt. In unserem Leben ist das Akzeptieren eines Remis gleich wichtig wie das einer Niederlage, finde ich. Die Lektüre des Pähtz’schen Buches weckt das Sinnieren, als würde es um den nächsten Zug auf dem Schachbrett gehen.

Eigene, beeindruckend ehrliche Schreibweise und persönliche Fotos

Dank des Mutes von Elisabeth und Dank des Weitblicks, des Gespürs ihrer Partner, der Westend-Verlagsverantwortlichen, für die wohltuende Wirkung einfacher, ganz eigener Zeilen der Autorin, konnte die Schachspielerin wunderbare, kritische, selbstkritische, offene Worte zu Papier bringen. Ihr alltagssprachlicher Stil erreicht den Leser berührend, als wäre sie gerade mit ihm im Gespräch. Ohne Allüren eröffnet sich einem Elisabeths Kosmos. Sie lässt den Leser teilhaben an ihrem trotz immer noch durchaus jungen Alters schon sehr langen sportlichen Werdegang, teilhaben an den vielen Trainings- und Wettkampfstunden am Schachbrett, ihren zahllosen Reisen zu Turnieren, ihren Erfolgen, den Niederlagen, ihren Ansichten über Verbände, Wettkämpfe, Konkurrenz, ihrem Seelenleben, ihrer Medienpräsenz (bis in die Studios von TV-Shows), ihrer engen Bindung zum Vater (ebenfalls Großmeister im Schach, Trainer, Ratgeber, Vorbild) und zum Bruder. Ihre Hingabe zum Schachsport wird in einer Episode aus ihrer Bundeswehrzeit offenbar, die sie schonungslos erzählt: Sie bezahlte eine Wettkampfreise aus eigener Tasche, obwohl sie Sportsoldatin und in Diensten des Landes am Start war. Politisch fragwürdiger Korrektheit zum Trotz spielte sie.

Elisabeth war ein Wunderkind, eines, das beinahe noch Kind, mit 13 Deutsche Meisterin und ein Jahr später Nationalspielerin wurde. 1985 geboren, spielte sie schon mit fünf Jahren Schach. Folgerichtig nennt sie das Objekt „Schachbrett“ einen wichtigen Bestandteil des Familienlebens. Auch in der Liebe ist Schach im Spiel. Sie verrät ihre eigene „Herkunft“ mittels der kleinen, feinen Episode über das Kennenlernen ihrer Eltern. Deren erste, richtige Verabredung von Mutter und Vater war einst die zu einer Partie Schach. Es musste wohl so kommen, dass Elisabeth Schachprofi wurde. Ebenso das ist zu lesen: Die Erfurterin Elisabeth Pähtz motzt ihr ereignisreiches Leben nicht auf, sie verschweigt nicht, im Sport wie im Alltag im Umgang mit Menschen mitunter auch zu polarisieren. Nicht jeder um sie herum findet sie darum vielleicht gleich oder überhaupt sympathisch, berichtet sie, dennoch bleibt Elisabeth sich treu. Kein Blatt vor den Mund nehmen, das ist nicht leicht, Gegenwind erfährt sie dafür, doch es lohnt sich, bekennt die Schachgroßmeisterin Pähtz. Sie lässt den Leser noch mehr in ihr Leben blicken. Die zahlreichen Fotos in ihrem Buch bereichern all ihre Ausführungen und bringen einem die junge Frau näher: Mal mit Wollmütze als Jugendliche am Schachbrett, mal in Uniform (als Sportsoldatin), mal Arm in Arm mit sportlichen Rivalen, die zugleich Freunde sind.

Kampf um Gleichberechtigung und Werben für das königliche Spiel

Im Laufe ihrer Karriere hat sich Elisabeth Pähtz vielfach für eine Gleichbehandlung der Frauen im Schach eingesetzt. Die Rolle der Frauen im nationalen und internationalen Schach sei, so Pähtz, noch immer eine untergeordnete gegenüber der der Männer. Die frisch gekürte Großmeisterin kritisiert, dass Mädchen und Frauen bis heute weniger gefördert würden und dass Preisgelder für sie geringer seien als bei den Männern. Pähtz stellt eine provokante Frage: Sind Männer die besseren Schachspieler? Sie stellt vielsagenderweise fest, dass die für die Bestimmung der Stärke eines Spielers benutzte Zahl (genannt ELO-Punkte) keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen mache. Allein ist auch zu erfahren, dass in der Schachwelt bis heute immer noch ein Verhältnis Männer – Frauen von 10 zu 1 an Aktiven besteht.
Schach ist ein wundervolles Spiel für Kinder, für Jungen und Mädchen, wirbt die Autorin. Schach ist ein Spiel, das in „deinem Kopf“ sich ganz andere Welten auftun lässt. So sitzt man am Brett und das Spiel nimmt seinen Lauf. Zitat:

Manchmal ist das Schritt für Schritt einer harter K(r)ampf, aber wenn es gut läuft, kann es sich auch wie ein sonniger Spaziergang anfühlen. Wenn ganz plötzlich und jenseits aller Rationalität ein Zug den Weg zu dir findet …

Es stimmt, dieser Kampf zweier Teams aus Bauern, Läufern, Türmen, König und Königin, bestehend aus raffiniert in schlichten Regeln gefassten Zug-Möglichkeiten, Geboten, Verboten und Empfehlungen – es ist spannend, es ist unendlich. Es ist gar nicht so einfach, so weit zu kommen, dem Gegenüber die Ansage zu machen: „Schach!“.

Schachspielerin ist eine Bürgerin mit eigener Haltung

Ernüchternd und teils empörend für mich gerieten die Schilderungen über das Sportler-Leben in der Pandemie. Geradezu grotesk ist die Geschichte über einen sehr solventen Spieler, der nach Dubai fliegt, um sich mit dem „genehmen“ Stoff impfen zu lassen, um damit spielberechtigt zu sein. Die Corona-Pandemie setzte den Schachspielern weltweit sehr zu. Elisabeth Pähtz berichtet, dass es keine Turniere mehr und damit auch keine Einnahmequellen gab. Beeindruckend schreibt sie, wie sie die Maßnahmen teils entmündigend empfand. Diese Katastrophe war aber nicht genug. Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine versetzt wie die Welt auch die Schachwelt in einen neuen Ausnahmezustand, aus einer grenzenlosen Verbundenheit werde nun nach und nach wieder eine unüberwindbare Grenze hochgezogen, befürchtet Elisabeth. Nah geht einem, dass sie mit russischen und ukrainischen Sportlern zusammen in einem Team agiert und diese gemeinsam zum Frieden auffordern. Im Buch ist eine beeindruckende Erklärung von ihnen zu lesen.

Der zweite Teil des Buches – Schachpartien satt

Für mich gerieten die Spiele im zweiten Teil des Buches, schlicht mit Grafiken aufgelistet und kommentiert, zu einer reizvollen Aufgabe. Ich muss zugeben, als Laie, der gern mal eine Partie Schach spielt, las sich die „Schach-Sprache“ anspruchsvoll. Die Gedankenwelt in Buchstaben und Zahlen verdichtet, erschlossen sich mir langsam wie eine Sprache aus einer anderen Welt. Und jetzt ist sie …

Großmeisterin

Elisabeth Pähtz beschreibt in ihrem Buch die Wartezeit zur Verleihung des Titels Großmeister, die sie als teils quälend empfand, auf sie enormen Druck ausübte und ihr Schachspiel nicht förderte. 2021 hatte die 37-Jährige die entscheidende Norm dafür erfüllt, darum beklagt sie die Hängepartie bis vor wenigen Tagen, weil der internationale Schachverband prüfte und prüfte, Zweifel sollen betreffs einer Norm von 2016 betreffs ihrer Gültigkeit bestanden haben. Elisabeth Pähtz wurde nun endlich mit dem Titel Großmeister geehrt.

Quelle: https://www.nachdenkseiten.de/?gastautor=frank-blenz