November 2, 2024

Die Schachkünstlerin Maria Yugina im Portrait

Von GM Gerald Hertneck

München im Mai 2019. Schon länger war mir auf Facebook die Künstlerin Maria Yugina aufgefallen, einerseits, weil sie die Gattin des bekannten Großmeisters Mihail Marin ist, andererseits wegen ihrer eleganten Verbindung von Schach und Kunst. Über Internet ergab sich nun die Gelegenheit zu einem ausführlichen Interview.

Maria als Malerin in Aktion

GH: Vielen Dank für deine Bereitschaft zu diesem Interview. Hier gleich die erste Frage: soll ich Mariya oder Maria schreiben?

MY: Die russische Version des Namens Maria enthält die aufeinanderfolgenden Buchstaben, die „i“ und „ya“ entsprechen, so dass mein Name Mariya ist. Es stimmt, jede Transkription aus dem Russischen hat mehr mögliche Varianten und in meinem Pass bin ich Mariia Iugina.

GH: Irgendwie denke ich bei deinem Nachnamen immer zuerst an Jugoslawien, das es ja schon seit über 20 Jahren nicht mehr gibt. Schon in meiner Jugend, als ich Schach lernte, waren die Jugoslawen auch bei uns in Deutschland bekannt für ihre Schachbegeisterung. Meine Frage lautet, gibt es eine familiäre Verbindung nach Jugoslawien, oder ist die Ähnlichkeit der Laute nur Zufall?

MY: Im Russischen bedeutet „Yug“ Süden, so dass Jugoslawien das südslawische Land ist. Mein Familienname bedeutet „die Südliche“ (eigentlich bin ich aus dem Norden!), hat aber keine Verbindung zu Jugoslawien.

GH: Du wurdest geboren in Zeiten des kalten Krieges, und zwar 1988 in St. Petersburg (damals noch Leningrad). Mich interessiert dein Elternhaus. Waren oder sind deine Eltern auch schachlich oder künstlerisch aktiv bzw. interessiert?

MY: Als ich geboren wurde, interessierte sich nur mein Vater für Schach, aber er arbeitete als Ingenieur. Heutzutage arbeiten meine beiden Eltern als Schachtrainer für Kinder.

Mein Vater Andrei hat eine beeindruckende Sammlung von Kunstbüchern (überwiegend Impressionismus) und wir gingen früher in Museen, eine in St. Petersburg sehr verbreitete Gewohnheit. Meine Mutter Olga hatte als Hobby eine ähnliche Aktivität wie Ikebana.

GH: In welchem Alter und wie kamst du mit Schach in Berührung? Hast du vielleicht Schach in einem der berühmten Pionierpaläste gelernt oder wie bei uns im Schachverein?

MY: Ich habe im Alter von acht Jahren Schach gelernt. Zu dieser Zeit gab es keine Pioniere mehr, also habe ich anfangs mehrere Schachclubs besucht, bis ich Mitglied im Tschigorin Schachclub wurde.

GH: Noch mal dieselbe Frage, mit dem Hintergrund Kunst, zu dem ich später noch komme. In welchem Alter und wie kamst du mit der bildenden Kunst in Berührung? Hast du vielleicht das Malen in einer der Malerstudios deiner Heimatstadt gelernt? Und bist du als Kind bzw. in der Jugend oft in die berühmte Eremitage gegangen?

MY:  Meine Leidenschaft für das Zeichnen und Malen entstand schon in der frühen Kindheit.  Diese war so intensiv, dass ich alle gefundenen Papiere mit Zeichnungen ausfüllen musste.  Im Alter von etwa 10 Jahren wurde Schach zu meinem Haupthobby, aber auch meine Eröffnungsnotizbücher hatten viele Zeichnungen.

Mit 18 Jahren, als ich noch Studentin war, kehrte ich zur Malerei zurück. Seit Jahren nehme ich Privatunterricht bei Vladimir Bazhenov und lernte viele renommierte Künstler aus Petersburg kennen.  Einer von ihnen, Vladimir Kozhevnikov, wurde kürzlich mit dem Titel eines europäischen verdienten Künstlers ausgezeichnet.

GH: Bist du vielseitig künstlerisch aktiv oder interessiert? Also zum Beispiel auch für Musik oder Tanz und Theater?

MY: Ich liebe Ballettvorstellungen. Ich kann in Ballettschuhen stehen, aber ich bin keine Tänzerin. Außerdem habe ich den grünen Gürtel in Capoeira, eine brasilianische Mischung aus Tanz und Kampfkunst.

GH: Ich nehme an, du bist in St. Petersburg geboren und aufgewachsen. Hast dort dein Abitur gemacht, und vielleicht sogar an der Universität studiert? Oder wolltest du von Haus aus lieber selbständig als Schachspielerin und Künstlerin werden?

MY: In Russland ist das College kein Pflichtschritt zwischen Schule und Universität.  Du kannst das College besuchen, wenn du deine Chancen auf eine Aufnahme in ein Institut verbessern willst oder einfach, wenn du daran interessiert bist.

Nach der Schule habe ich sechs Jahre an der Russischen Präsidialakademie für Nationalökonomie und Öffentliche Verwaltung studiert, danach aber nie wieder in der Politik oder Verwaltung gearbeitet.

GH: Im Schach hast du seit über 10 Jahren eine Spielstärke zwischen 2000 und 2100 Elo. Was ist dein Ziel, und wie profitierst du von deinem Ehemann, der ja nicht nur ein starker Großmeister, sondern auch anerkannter Trainer ist, und viele Bücher geschrieben hat? Bei welcher Zahl würdest du gerne stehen?

MY: Mein Schachleben kann in mehrere Teile gegliedert werden.  Bis zum Alter von 18 Jahren habe ich sehr aktiv gespielt.  Meine größte Leistung aus diesen Jahren war die Silbermedaille bei den Mädchen unter 18 Jahren in der russischen Meisterschaft in der ersten Liga.

Es folgten zehn Jahre, in denen ich nur gelegentlich spielte, da mir mein Studium, meine Malerei und meine Arbeit als Schachlehrerin nicht viel Freizeit ließen.

Nachdem ich Mihail 2016 in Tallinn getroffen hatte, wurde mein Schachleben wieder aktiver, da wir anfingen, gemeinsam zu vielen Turnieren zu reisen. Ich verbesserte meine Bewertung mit einem Maximum von über 2180 Elo und wurde FIDE-Meisterin der Frauen. Mein Traum ist es, Großmeisterin oder zumindest Internationalere Meisterin zu werden.

GH: Würdest du dich im Schach eher als Angriffsspielerin oder als Defensivspielerin bezeichnen? Und hast du eine Lieblingseröffnung? Meine ist zum Beispiel Französisch.

MY: Ich finde es nicht leicht, mich als Spielerin zu definieren, aber Mihail sagt, dass ich einen positioneller Spieltyp mit aggressiven, ehrgeizigen Tendenzen und einem konkreten Ansatz für jede Position habe.

Ich habe normalerweise Probleme, mich an Eröffnungszüge zu erinnern. Die französische Verteidigung mit Schwarz ist auch meine Lieblingseröffnung, vor allem, weil ich mich immer an die ersten beiden Züge erinnere und erst vom dritten Zug an selbständig denke.

GH: Wie steht es mit deiner körperlichen Fitness? Ich spiele da auf gewisse Bilder an, wo ich euch im Sportdress auf Facebook gesehen habe… Muss man den Mihail an diesen Ort hintragen, oder geht er freiwillig mit?

MY: Mihail liebt Sport genau so wie ich und wir praktizierten ihn schon lange vor unserer Bekanntschaft. Ich muss ihn nicht gewaltsam ins Fitness-Studio tragen, tatsächlich fährt er mich mit dem Auto dorthin.

GH: Ihr habt 2017 in Gibraltar geheiratet, hier liegt natürlich die Frage auf der Hand, wieso nicht in St. Petersburg oder Bukarest? Lag es vielleicht an der Bürokratie? Oder wolltet ihr euch unbedingt am Affenfelsen auf ewig binden?

MY: Wir haben uns für Gibraltar wegen der übermäßigen Bürokratie in unseren Ländern entschieden.  Aber die Makaken und der Felsen gaben diesem Erlebnis zusätzlichen Charme.

GM: A propos – in welcher Sprache unterhaltet ihr euch eigentlich? Mihail spricht ja mindestens drei Sprachen: Rumänisch, Englisch und Deutsch. Vielleicht auch Russisch?

MY: Mihail spricht sieben Sprachen und kann noch ein paar mehr lesen. Unsere tägliche Hauptsprache ist Russisch, aber es gibt Zeiten, in denen wir uns verabreden, auf Rumänisch oder Englisch zu sprechen, damit ich mich in diesen Sprachen verbessern kann.

GH: Schachspieler sind viel auf Reisen. In welchem Land hat es dir am besten gefallen, bzw. wo würdest du (bzw. ihr) gerne leben, wenn du die freie Auswahl hättest?

MY: Ich mag viele Orte und Länder, aber wenn ich wählen würde, wohin ich gehen würde…. würde ich Hamburg oder einen ruhigen Ort in der Toskana in Betracht ziehen.

GH: Nach diesen vielen einleitenden Fragen komme ich zu dem Themenkomplex, der mich der Auslöser dieses Interviews war, nämlich deine hohe künstlerische Produktivität, in der du Schach auf eine Art und Weise einbindest, die ich so noch nie gesehen habe, und die wirklich sehr prägnant ist. Ich würde das fast als ganz neue Stilrichtung bezeichnen. Lass mich zunächst deine Bilder beschreiben, so wie ich sie sehe. Drei Grundzüge ziehend sich durch fast alle Werke zumindest der letzten 12 Monate: sie sind sehr farbenfroh (ja da ist im wahrsten Sinne des Wortes die Farbe froh, dass sie auf die Leinwand kommt), dann das allgegenwärtige Schachmotiv, und schließlich als eigentliches Hauptmotiv die Verbindung zwischen Mann und Frau. Weitere prominente Elemente sind der Tanz und die Geometrie. Letzteren Aspekt finde ich besonders spannend. Die Figuren folgen oft einer geometrischen Linie, und sind förmlich daran ausgerichtet, was den Bildern nicht nur Form gibt, sondern auch einen sehr starken Wiedererkennungswert verleiht. Nun bist du an der Reihe. Wie würdest du deine Bilder beschreiben?

MY: In der Malerei wie im Schach beginnen wir alle mit den Klassikern, aber dann muss jeder seinen eigenen Weg finden.  Lange Zeit habe ich mich als Impressionistin betrachtet, aber nachdem ich weit weg von meinen früheren Lehrmeistern nach Rumänien gezogen war, fühlte ich die Freiheit, meinen eigenen Stil zu wählen, den ich zum jetzigen Zeitpunkt als farbenfrohen Kubismus bezeichnen würde. Aber natürlich würde ich den klassischen Stil nie ganz aufgeben.

GH: Früher hast du anders, ich sage mal weniger prägnant und stilistisch unauffälliger gemalt. Mich interessiert natürlich wie du diesen neuen farbenfrohen „Mann-Frau-Schach-Stil“ entwickelt hast.

MY: Viele Jahre lang hatte ich das Gefühl, dass ich mit meinen zahlreichen Leidenschaften (Schach, Malen, Reisen und als Frau, nicht zuletzt als Romantikerin) nicht richtig umgehen konnte.  Es war, als ob sie untereinander um meine Zeit, Energie und mein Interesse konkurrierten.

Ich glaube, dass die erwähnte Gemäldeserie eine gute Kombination aus all dem ist. Wir haben dort eine Verbindung von Schach, Romantik und auch typische Hintergrundlandschaften aus verschiedenen Ländern vereint.

GH: Auf Facebook sieht man euch beide oft Päckchen packen oder zur Post bringen. Denn du verkaufst deine Bilder an Schachspieler aus aller Welt. Ich bin jetzt nicht so unhöflich, nach dem Preis zu fragen, aber ich hoffe, es ist keine brotlose Kunst, sondern sie lohnt sich auch für dich? Ich finde man soll da nicht schüchtern sein, denn gute Arbeit muss sich auch auszahlen.

MY: Ich fühle mich sehr belohnt, dass so viele Menschen aus der ganzen Welt meine Bilder gekauft haben. Ich würde die Preise als moderat oder sogar niedrig bezeichnen, aber da ich viele Bestellungen habe, ist es die Mühe wert. Wir werden versuchen, in diesem Bereich noch besser zu werden.

GH: Ist es richtig beobachtet, dass deine Bilder schon auf mehreren Kontinenten hängen, obwohl du sie seit noch gar nicht so langer Zeit verkaufst? Wenn ich das richtig interpretiert habe… Und noch eine Frage: kannst du dich leicht von den Bildern trennen?

MY: Es ist immer schön, Facebook-Posts mit meinen Bildern zu sehen, nachdem sie am Zielort angekommen sind. Wenn ich ein Gemälde verschicke, habe ich das Gefühl, dass es seine ursprüngliche Intention erfüllt, einen Menschen glücklich zu machen, indem es an seiner Wand hängt.  Wenn ich sie alle zu Hause behalten würde, wäre ich als Malerin weniger erfüllt.

GH: Darf ich annehmen, dass du deine Schachkarriere seit der erfolgreichen Kunstproduktion eher zurückgestellt hast, aber trotzdem natürlich auf den Schachreisen weiterhin damit in Berührung kommst? Oder anders gefragt: wenn du 100 Prozent deiner freien Zeit auf Kunst uns Schach verteilen solltest, wie lautet dann das Verhältnis?

MY: Sowohl für Mihail als auch für mich bedeutet der Winter eher „Hausarbeit“. Wir spielen die meisten unserer Turniere, wenn es wärmer ist. In den letzten Monaten habe ich etwa 100% meiner Zeit der Malerei gewidmet, ohne Zeit für das Schachstudium. Aber bald werden wir etwa ein Turnier pro Monat spielen, und zwar in Sardinien, Benasque, Sizilien, rumänische Teamliga, und am Tegernsee…..

GH: Malen ist dein Leben, da blühst du auf. Hier nun ein Gedankenexperiment. Was würde passieren, wenn du ab morgen nicht mehr malen könntest, wo würdest du dann deine Schwerpunkte setzen? Oder ist dies für dich gar nicht vorstellbar?

MY: Wie bereits erwähnt, ist mein Interessensgebiet noch weiter gefasst.  Wenn mir das Malen verwehrt wäre, würde ich mehr Schach lernen und spielen und Mihail bitten, mir die italienische Sprache beizubringen.

GH: Du hattest im letzten Jahr bereits eine Kunstausstellung in Bukarest. Ich hoffe, sie ist erfolgreich verlaufen. Sind aktuell weitere Ausstellungen geplant?

MY: Ich hatte zwei persönliche Kunstausstellungen in Bukarest, eine im Jahr 2018 und eine im Jahr 2019. Sie waren zwar angenehme gesellschaftliche Ereignisse und nützlich für die Teilnahme am rumänischen Kunstleben, haben sich aber konkret als eher wirkungslos erwiesen. In naher Zukunft werde ich an zwei Gemeinschaftsausstellungen in den Hotels Crown Plaza und Hilton Athenee Palace in Bukarest teilnehmen, aber ich freue mich hauptsächlich auf meine Ausstellung während des Schachturniers im schwedischen Lund vom 2. bis 4. August.

GH: Wer sich dafür interessiert, ein Bild von dir zu kaufen, kontaktiert dich am besten über Facebook, oder wie läuft das üblicherweise ab?

MY: Ich habe die meisten Bestellungen für Schachbilder über den Facebook Messenger (entweder auf meinem oder Mihails Konto, da mein Ehemann auch mein manager ist) erhalten, nachdem unsere Facebook-Posts veröffentlicht wurden.

GH: Wäre es nicht sinnvoll, du würdest eine Homepage (z.B. unter WordPress) entwickeln, auf der alle Kunstwerke versammelt sind und zum Kauf angeboten werden? Wäre das nicht auch ein schönes Projekt?

MY: Das ist im Prinzip eine gute Idee, aber wir hatten bisher nicht die Zeit, sie zu entwickeln. Neben meinem persönlichen Facebook Konto habe ich die Facebook-Seite Mariya-Art-Yugina, auf die ich die meisten meiner letzten Bilder hochgeladen habe.

GH: Wo siehst du dich in 10 Jahren, also sagen wir mit 40? Als Künstlerin mit eigenem Studio in Bukarest oder einer anderen Stadt dieser Welt? Oder lässt du die Zukunft einfach auf dich zukommen? Schachspieler sind ja normalerweise strategisch denkende Menschen.

MY: Wir haben unsere Wünsche und Träume für die Zukunft, aber bisher tuen wir das, was wir für den Beste im Moment halten.

GH: Zum Abschluss noch eine scherzhafte Frage: wann wirst du Mihail Malunterricht geben, und wie viel muss er dann pro Stunde zahlen?

MY: Dies ist natürlich eine sehr ernste Frage, es wäre optimal, gemeinsam zu malen, aber wir müssen noch einen Zahlungsmodus für Mihail ausarbeiten.

Maria, ich danke für deine Geduld und Bereitschaft zu diesem langen Interview!

Link auf das Facebook-Profil von Maria Yugina: https://www.facebook.com/profile.php?id=100003445372068

Link auf ihre Kunstseite unter Facebook:
https://www.facebook.com/Maria-Yugina-1742160582550186/