April 25, 2024

AU Armageddon-Unsinn in Norwegen ACH Ave Carlsen Halleluja

Da fehlt eigentlich noch „Ähm äh“ – aber Langeweile sollte bei Norway Chess nicht aufkommen. Dafür haben sich die Organisatoren etwas Neues einfallen lassen, von dem dann ihr Lieblingsspieler profitierte. Aber das Titelbild bekommen zwei andere Spieler, da sie Armageddon-Unsinn gleich in Runde 1 am perfektesten umsetzten.

Schach, jedenfalls auf Weltklasseniveau, ist in diesem Beitrag eher Nebensache. Schach mit (gerade so noch) klassischer Bedenkzeit war im Turnier auch eher Nebensache, aber trotzdem beginne ich mit dem, das langfristig zählt – Ergebnisse der Elo-ausgewerteten Partien: Carlsen und Ding Liren 5.5/9, Caruana und So 5, Aronian und Yu Yangyi 4.5, Vachier-Lagrave und Anand 4, Mamedyarov und Grischuk 3.5. Nicht schlecht für Carlsen, wobei das Gerede über neue Elo-Rekorde schnell hinfällig wurde – Bilanz Elo -2,5 und damit war er durchaus gut bedient. Warum kann man dann überall lesen, dass Carlsen „überragend“ abschnitt? Warum landete Ding Liren insgesamt nur oben in der unteren Tabellenhälfte?

Es gab noch eine zweite Wertung, die das Gesamtergebnis mindestens ebenso beeinflusste? Nach jeder Remispartie Armageddon – anderswo nur allerletzte Notlösung, wenn man im KO-Format oder bei Stichkämpfen um den Turniersieg unbedingt einen Sieger braucht und sonst nichts hilft, in Stavanger täglich ein- bis fünfmal der Fall. Etwas verwirrend, dass die Spieler unterschiedlich oft auf Armageddon verzichteten, indem sie schon zuvor gewannen oder auch verloren, aber so endete das Armageddon-Turnier: Carlsen 6/7, Aronian 5/7, Yu Yangyi 4/5, So, Anand, MVL 4/8, Caruana 3/6, Grischuk 2/7, Mamedyarov 1/5, Ding Liren 1/7.

Zum Vergleich das Ergebnis des Blitzturniers vorab: MVL 7.5/9, Aronian und Carlsen 6, Mamedyarov 5, Ding Liren 4.5, Yu Yangyi und So 3.5, Caruana, Anand, Grischuk 3. Armageddon war kaum mit Blitz vergleichbar – nur Carlsen, Aronian und am anderen Tabellenende Grischuk hatten ähnliche Ergebnisse. Liegt es am generell anderen Format, d.h. daran dass Weiß im Armageddon immer unbedingt gewinnen muss? Lag es an der ungewöhnlichen Armageddon-Zeitkontrolle in Norwegen (10 Minuten für Weiß, 7 für Schwarz, 3 Sekunden Inkrement ab dem 61. Zug ist dagegen üblich)? Lag es daran, dass die Spieler schon kurz nach einer mehr oder weniger ermüdenden Partie mit klassischer Bedenkzeit armageddonisieren mussten? Anderswo ist die Pause oft länger, und sie können sich erst im Schnell- und Blitzschach an verkürzte Bedenkzeiten gewöhnen.

Wie dem auch sei, das ist der offizielle Endstand: Carlsen 13.5, Aronian und Yu Yangyi 10.5, Caruana und So 10, Ding Liren 8.5, Anand und MVL 8, Mamedyarov und Grischuk 5.5. Darauf ein erstes Ave Carlsen Halleluja, Ursachenforschung kommt später. Für Ding Liren gilt einskommafünf plus zehn geteilt durch zwei ist sechs, stimmt ja mathematisch annähernd. Man könnte einwenden, dass Ergebnisse mit klassischer Bedenkzeit mehr zählen sollten – so sahen es jedenfalls Anand und Aronian, Norway Chess war anderer Meinung.

Klassische Bedenkzeit ist übrigens relativ: es gab 2 Stunden für die gesamte Partie und 10 (zehn) Sekunden Zugabe pro Zug ab dem 41. . Das ist laut FIDE-Regelwerk gerade so noch klassisch – 2 Stunden für 60 Züge muss mindestens sein, hier waren es 2 Stunden und 200 Sekunden. Allerdings: einmal Zeitnot, immer Zeitnot. Das gibt es vergleichbar bei Opens mit Doppelrunden, da zwei Partien an einem Tag sonst nicht geht. Das gibt es vergleichbar im Amateurbereich, weil Mannschaftskämpfe wochentags abends nicht zu lange dauern sollen. In Stavanger hatte es andere Gründe, siehe unten.

Warum eigentlich das Ganze? Ich zähle mal bis drei: 1) Carlsen soll bei einem Turnier, das es ohne ihn nicht geben würde, im Mittelpunkt stehen. 2) Seine bisherigen Ergebnisse bei Norway Chess waren insgesamt durchwachsen. Also 3) Es gab Handlungsbedarf? Chess.com schrieb dazu „Conspiracy theorists might suggest that the tournament organizers have reformatted the event to give their main man Carlsen even bigger chances to win. That would be stretching it too much, but the world champion does feel like a fish in the water in faster time controls“ [frei übersetzt: Verschwörungstheoretiker könnten vorschlagen, dass die Regeln geändert wurden, damit ihre Hauptfigur Carlsen noch [sic] bessere Chancen auf den Turniersieg hat. Das wäre übertrieben, aber der Weltmeister fühlt sich bei verkürzter Bedenkzeit wohl]. Klar, westliche kommerzielle Schachseiten sind Carlsen-freundlich. Klar, wer keine Carlsen-Fanbrille besitzt aber bis drei zählen kann, der gehört in die Schmuddelecke. Chess24 nannte das neue Format von Norway Chess „revolutionär“, ein vergleichbares Format bei Batavia Chess war dagegen „weird“ (merkwürdig).

Noch etwas vorab, dabei nach dem Turnier: Emil Sutovsky fragte seine Facebook-Freunde, was sie (nun) von diesem Format halten und zählte dabei alphabetisch bis vier: A I liked it, B Mixed feelings, C I didn’t like it, D I didn’t like it, but thanks to the organizers for trying it. Das Gesamtbild war durchaus skeptisch-negativ, für C entschieden sich neben Thomas Richter u.a. Igor Kovalenko, Alex Khalifman, Vadim Malakhatko, Michal Krasenkow, Evgeny Postny, Lev Yankelevich, Maksim Chigaev und Bernd Kohlweyer. Zwei Unterschiede zu mir: alle haben einen Schachtitel, und fast alle sind mehr oder weniger „sowjetisch“. Was Leute mit Ahnung vom Schach meinen, war den Norwegern allerdings relativ egal: viiiieeeel wichtiger ist, dass es dem norwegischen Fernsehpublikum gefallen hat und dass demnach die Quoten stimmten. Denen kann man vielleicht nicht zuviel Schach zumuten, und sie freuen sich über Carlsens Abschneiden. Es besteht also die Chance/Gefahr, dass dieses Format bei Norway Chess wiederholt wird, unklarer ist ob es anderswo Nachahmer finden wird.

Und nun zum schachlichen Geschehen, mehr oder weniger – da Carlsen nun einmal insgesamt gewonnen hat, am komplettesten und ausführlichsten zu ihm:

Runde 1 Carlsen-Anand 1,5-0,5 – also Armageddon-Sieg. Die Partie mit klassischer Bedenkzeit war quasi eröffnungstheoretisch relevant: bei Grenke Chess hatte er gegen Aronian in wohlbekannter Stellung noch 10. ähm äh Ld2 gespielt (nach zuvor 6.Lg5) und es wurde spekuliert, dass das oft kopiert würde – nun nicht einmal von Carlsen selbst, denn das zwar komplizierende aber logische 10.-Sxe4 ist für Schwarz wohl mindestens OK, demnach war es eine Neuerung für eine Partie!? Mit dem uralten 10.Sb5 erreichte Carlsen allerdings nichts. So spielte zuvor vor allem Karpov 1993-2003 – seine Gegner Lautier, Timman und Piket sind inzwischen wie Karpov selbst nicht mehr Weltklasse, Aronian war es anno 2003 in Hoogeveen noch nicht.

Musste ja auch nicht sein, da Anand im Armageddon freundlicherweise bereits im 12. Zug daneben griff. Statisch spielen (12.-dxe5) war hier falsch, dynamisch mit 12.-Se4 musste sein.

Richtungsweisend für das Turnier war dann – jedenfalls im Nachhinein – Runde 2 Aronian-Carlsen 2-0 0,5-1,5:

Wer auch immer für Aronian 1.e4 spielte hatte keine Angst vor Carlsens Sizilianer, und Levon war einverstanden. Es wurde Rossolimo, und Carlsen improvisierte mit 5.-Dc7. „So hat Dubov bereits gespielt!!“ hiess es – aber was gegen Petrov (2591) Remis einbrachte funktionierte gegen Aronian nicht. Der wurde auch kreativ (8.De1, 11.Db1, 14.Sg1 und dann wieder 26.De1) und hatte schlicht und ergreifend einen Bauern mehr „und gute Kompensation“. Warum hat er dann nicht gewonnen? Erst übersah er später einen taktischen Trick, mit dem er einen zweiten Bauern gewinnen konnte. Dann vergass er, dass Freibauern im Turmendspiel viel stärker sind, wenn ein befreundeter Turm dahinter steht – 54.g5 hätte recht locker gewonnen, 54.h5 wurde remis. Keinesfalls Können, sondern reiner Dusel dass Carlsen entwischte – nicht das erste Mal gegen Aronian, der mitunter auch jedenfalls klar bessere Stellungen noch zum Verlust verdorben hatte.

Im Armageddon spielte Carlsen dann so, wie es ihm seine Sekundanten beigebracht haben – u.a. gehört der Läufer nach g7, wenn man (1.e4 c5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5) 3.-g6 spielt. Aronian verlor womöglich, weil er mit Weiß unbedingt („nochmals“) gewinnen musste. Darauf ein Ave Carlsen Halleluja!

Runde 3 Carlsen-Grischuk 2-0!?

Noch war es nicht soweit – ob Carlsens kreative „Sitzhaltung“ den Gegner störte müsste man Grischuk fragen, aber der hatte sein Turnier ohnehin bereits zu diesem Zeitpunkt mehr oder weniger abgehakt (Grund war auch das Titelbild, s.u.). Hinterher wurde die Partie als Grünfeld-theoretisch relevante „Modellpartie“ oder „Meisterwerk“ bezeichnet, was war passiert? Grischuk parkte seine Figuren systematisch auf dem Damenflügel, dann spielt sogar Carlsen auf Königsangriff – schliesslich mit null Risiko verbunden. Letzter Vorläufer war Kantorik(2289)-Hlas(2209) 1-0 anno 2000. Der relativ schwache Schwarzspieler patzte zwar am Ende, aber spielte zuvor so wie es Engines und (unabhängig davon oder nicht) Svidler im Video für Chess24 vorgeschlagen hatten. Grischuk spielte dagegen nicht nur langsam (so kennen wir ihn) sondern auch falsch – laut Svidler zu schematisch, statt sich konkret in die Stellung zu vertiefen. Modellpartie oder Meisterwerk, meinetwegen – theoretisch relevant eher nicht.

Hier ist nicht ganz klar, warum Grischuk aufgeben musste – sie hatten der DGT-Software bereits das Ergebnis mitgeteilt. Kurz zuvor stand der schwarze König noch auf g8 und eine weisse Dame auf e4 – die unparierbare Drohung Dh7# war für Grischuk ein noch grösseres Problem als die Tatsache, dass er zuvor eine Qualität spucken musste. Das war partieentscheidend – nicht etwa, dass er sich rasiert hatte während Carlsen einen auf Wikinger macht.

Runde 4 Carlsen-Mamedyarov 1,5-0,5

Wieder Grünfeld, diesmal doppelt. Mit klassischer Bedenkzeit hatte Carlsen zwar Chancen, aber nutzte sie nicht. Armageddon wurde turbulent, nur zur Schlussphase: am Ende ein fast bauernloses Schwerfigurenendspiel, in dem Carlsen zuerst wieder eine Dame bekam. Also hatte er die Initiative und kurz vor Schluss 33% Gewinnchancen: 56.-Kb3 oder 56.-Kb4 war ausgeglichen, Mamedyarov war lieb und spielte 56.-Kb5?. So knapp war es.

Runde 5 MVL-Carlsen 0,5-1,5

In beiden Partien war eher nix los, aber Remis reicht ja dem Schwarzspieler im Armageddon. Darauf ein Ähm äh Ave Carlsen Halleluja. Seine bevorzugte Spielweise – nichts riskieren und gegnerische Fehler ausnützen – funktionierte auch ohne gegnerischen Fehler. Das haben seine Freunde von Norway Chess prima hinbekommen.

Runde 6 Carlsen – Ding Liren 1,5-0,5

Zweimal stand Carlsen mit Weiß zumindest verdächtig, aber am Ende patzte der Chinese im Armageddon – nicht die einzige unnötige Armageddon-Niederlage des Spielers, der klassisch mit Carlsen gleichwertig war. Darauf ein Ave Carlsen Halleluja – einfach klasse, wie seine Gegner gegen ihn patzen.

Runde 7 So – Carlsen 0,5-1,5

Die Partie mit klassischer Bedenkzeit war ein weiterer Beweis, dass Sveshnikov-Hauptvarianten auf hohem Niveau eben remislich sind. Beide freuten sich – So weil er am liebsten Remis spielt, Carlsen weil er verkürzte Bedenkzeiten mag und es wieder einmal soweit war.

In einem scharfen Anti-Grünfeld (1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.f3 d5 usw.) hat dann erst Carlsen zweimal geopfert bzw. versuchte es – So wollte weder einen Bauern (im 11. Zug) noch eine Figur (im 13. Zug), in beiden Fällen wären Engines materialistisch. Dann halluzinierte er mit 16.d5??? – und schon wurde aus einer vielversprechenden Angriffsstellung eine Art Endspiel mit zwei Minusbauern. Carlsen war dann lieb zu So, da es ja keine Folgen hatte: in Gewinnstellung erlaubte er ein gegnerisches Dauerschach.

Danach sagte Aronian, dass Carlsen viele gegnerische Geschenke bekommt („they hand it to him“). Wenn ich derlei schreibe, bin ich ein unverbesserlicher Carlsen-Hasser. Wenn Aronian das sagt, stimmt es wohl – wobei Judit Polgar ihn daran erinnerte, dass er damit angefangen hatte.

Runde 8 Carlsen – Yu Yangyi 2-0

Gegen den Superturnier-Neuling, der sich insgesamt klassisch achtbar schlug und in Armageddons noch erfolgreicher war, gewann Carlsen nochmals mit klassischer Bedenkzeit. Warum? Weil Yu Yangyi ausgangs der Eröffnung nicht prinzipiell spielte, sondern eine Stellung mit de fakto Minusbauer akzeptierte. Nach der Erbsenzähl-Methode war es materiell ausgeglichen, aber ein schwarzer Doppelbauer am Königsflügel war unschön und ineffizient.

Danach faselte Carlsen, dass er dank seiner Freunde AlphaZero und Daniil Dubov nun ein anderer Spieler sei – kreativer, dynamischer, …. . Hier funktionierte es mal wieder, da der Gegner Komplikationen scheute. Generell: Andere, z.B. aber nicht nur Aronian, wussten schon vor AlphaZero, dass Schach auch kreativ sein kann. Der junge Carlsen wusste es eigentlich auch bereits, aber dann war er mit ähm äh erfolgreicher.

Wie dem auch sei, nun stand Carlsen bereits als Turniersieger fest, aber es gab noch eine Runde:

Runde 9 Caruana-Carlsen 2-0 1,5-0,5

Gut, mit klassischer Bedenkzeit hatten beide ihre Gewinnchancen – Weiß allerdings die klarste und jeweils waren es Momentaufnahmen. Es war mal wieder Rossolimo-Sizilianisch, ausnahmsweise (bezogen auf allgemeine schachliche Faustregeln) war eine schwarze Dame später besser als zwei weisse Türme. Aber mit 49.-c3?? ignorierte Carlsen gegnerische Drohungen komplett, Caruana erwog zwar den Gewinnzug 50.Sf5 nebst Matt, aber vielleicht standen zu viele Figuren auf der h-Linie: Sh4 von Weiß, Kh5 und Sh6 von Schwarz und dahinter noch ein weisser Th7. Die kürzeste Gewinnvariante war 50.Sf5 Dd2+ 51.Kf3! (kontrolliert f4) 51.-Dxe1 52.g4+ Kg5/g6 53.Tg7# – mit doppelter Rolle für den womöglich „unsichtbaren“ Th7: schwarzen Springer fesseln und dann Schach geben = Matt. Caruana hatte offenbar g4+ nicht auf dem Zettel.

Nach 50.Sf3? konnte die Partie gar in die andere Richtung kippen, dafür musste Carlsen 51.-Db3 finden (nebst -Dg8, was den weissen Th7 vertreibt). Wie unmenschlich war das? Ich würde sagen: man kann es finden, wenn man weiß, dass das Schachbrett 64 Felder hat und Damen auch rückwärts ziehen können. Aber es wäre vielleicht, auf das ganze Turnier bezogen, des absurden zuviel zugunsten des Norwegers. Carlsen fand es jedenfalls nicht, Caruana fand dann doch noch Sh4+ nebst Sf5+ aber nun war es lediglich Dauerschach.

Ob Carlsen seinem Gegner in der Pause vor dem Armageddon den verpassten Sieg direkt zeigen musste, da kann man geteilter Meinung sein – es war vielleicht auch ein bisschen psychologische Kriegsführung, vielleicht aber auch spontan und ohne Hintergedanken. Im Armageddon dann wieder Rossolimo, und diesmal wich Carlsen eigensinnig ab von dem, was ihm seine Sekundanten beigebracht hatten. 3.-Sf6 und die weiteren Züge war nicht unbedingt schlecht, aber es entstand eben eine unkonventionelle Stellung, die Carlsen dann falsch behandelte. Knackpunkt war wohl 19.-Txf6 statt 19.-gxf6 was Dubov hier vermutlich gespielt hätte – keine Angst vor Doppelbauern, schliesslich kontrolliert Schwarz dann das Zentralfeld e5, hat eine offene g-Linie, …. . Stattdessen war 21.De5 Dxe5 22.Txe5 der Anfang vom schwarzen Ende – hier war Damentausch auch gegen Carlsen eine gute Idee, da es eben stellungsgemäss war mit klarem weissem Endspielvorteil.

Warum macht Carlsen eigentlich (siehe Foto) Reklame für chess24? Seit der Fusion mit PlayMagnus hat das PlayMagnus Lager da die Mehrheit der Anteile, Sohn und Papa Carlsen haben immerhin 20%.

Soviel zu Carlsen, etwas pauschaler zu anderen Armageddon-Helden oder auch „Deppen“:

Das Titelbild nochmals – noch stehen bei Aronian und Grischuk viele Klötze auf dem Brett, es war wohl auch die Partie mit klassischer Bedenkzeit. Die war durchaus unkonventionell aber endete friedlich, Stand auf der Uhr dann 31 gegen 21 Minuten, also kein Drama.

Das kam dann im Armageddon. Zuerst wurde Schach gespielt, und schon da ging es zur Sache: Aronian fand mit 10.h4, 11.Lxc6 und vor allem 15.Tg1!??? nicht unbedingt die richtigen kreativen Mittel und stand wohl mehr als verdächtig, aber irgendwie hatte er später ein klar besseres Endspiel. Nach 38.-Tb1??! hätte 39.Txc3 wohl – auch bei knapper Zeit – recht problemlos gewonnen, aber 39.Kf3 wurde vielleicht schon im Premove-Modus ausgeführt. So überlebte der schwarze c-Bauer, und nachdem Aronian auch auf 53.Txc3 verzichtete war er im Prinzip gewinnbringend. Da war Schach allerdings bereits Nebensache – wichtig war vor allem, schnell zu ziehen und in diesem Sinne war 53.Txc3 wohl zu kompliziert – zwei Klötze beteiligt, und das kostet wichtige Sekundenbruchteile. Figuren flogen durch die Gegend, und im 57. Zug überschritt Grischuk als erster die Bedenkzeit – erst ab dem 61. Zug gibt es jeweils drei Sekunden Zugabe.

Grischuk hat sich nach eigener Aussage von dieser Niederlage nicht erholt, so landet auch ein durchaus guter Blitzer weit unten in der Tabelle. Beide Spieler wurden für ihre Bedenkzeit-Einteilung kritisiert: die Zeitkontrolle war neu, es war die erste Runde, anfangs denkt man wohl „ich hab‘ ja noch genug Zeit“ und verpasst den Moment (oder die Zone), ab wann man schneller spielen sollte.

Die nächsten beiden Armageddons verlor Aronian – gegen Carlsen (das hatten wir bereits) und gegen MVL. Dann gewann er wieder, „souverän“ war es nicht unbedingt aber immerhin wurden die norwegischen Fernsehzuschauer prima unterhalten. Gegen Ding Liren stand er mit Schwarz überragend und hätte wohl unter armageddonfreien Bedingungen glatt gewonnen. Aber da Remis reichte, tauschte er die Damen (statt sie bei nacktem gegnerischem König auf dem Brett zu behalten), leistete sich noch diverse Ungenauigkieten und landete in einem verlorenen Endspiel. Mit gegnerischer Hilfe wurde daraus dann eine Remisfestung mit Turm und Bauern gegen Dame, und Remis reichte ja.

Gegen Wesley So dominierte er zwar im Prinzip, aber die Zeit wurde knapp – offenbar noch 13 Sekunden für 14 Züge, bevor es Inkrement gegeben hätte. Chaos wie gegen Grischuk schien sich abzuzeichnen, aber dann liess sich So einzügig mattsetzen. Gegen Yu Yangyi reichte ein Schwarzremis. Zum Schluss gegen Anand stand er verdächtig, war dann aber trickreich und akzeptierte das gegnerische Remisangebot wohl nur, weil er Schwarz hatte.

Ding Lirens Abenteuer hatten wir teilweise bereits. Außerdem verdaddelte er gegen Yu Yangyi einen wichtigen Bauern, wurde gegen Anand Opfer eines hübschen aber eigentlich inkorrekten Mattangriffs und geriet gegen Grischuk früh auf Abwege. Nur die Niederlage gegen MVL war relativ „normal“, wie auch sein einziger Armageddon-Sieg gleich in Runde 1 gegen So.

Grischuk hatte bereits nach der Armageddon-Niederlage gegen Aronian mehr oder weniger resigniert, noch „besser“ machte er es später gegen Caruana: 17.Lh6???? Lxh6 0-1 – die weisse Dame auf c1 verfluchte den Sd2, der im Weg stand: es war kein Abtausch, sondern ein Figureneinsteller. Norwegische Fernsehzuschauer mit Elo 1200 sagten „das kann ich auch!!!!!“. Dass er gegen MVL Schiffbruch erlitt, lag auch an gegnerischer Kreativität, gegen Anand war es wieder eher Selbstmord.

Die Partien mit klassischer Bedenkzeit ignoriere ich mal weitgehend, es gab schon die eine oder andere hübsche – vollendet oder auch unvollendet. Nur zu einer, in der ein Spieler auch mit noch reichlich Bedenkzeit verunfallte:

Wer auch immer diese beiden Damen sind – vielleicht inspirierten sie Anand, der zum Ende der Partie allenfalls Damenschach-Niveau hatte: zwei grottenschlechte Züge nacheinander, und das mit noch reichlich Bedenkzeit. Also 0-1 – es blieb Mamedyarovs einziges Erfolgserlebnis mit klassischer Bedenkzeit, und auch im Armageddon erzielte er ja nur 1/5.

Stichwort Damenschach – ein kleiner Rundumschlag zu anderen Turnieren: Hou Yifan hat beim Kandidatinnenturnier entscheidend eingegriffen – nur weil sie verzichtete, durfte Goryachkina mitspielen …. und gewann souverän bereits zwei Runden vor Turnierende. In Poikovsky war der fast top10-Spieler Artemiev klarer Elofavorit und bestätigte seine Rolle, wenn auch erst spät: zwei Siege in den letzten beiden Runden. Für top10 reicht es momentan nicht, da Remisspezialist Wesley So sich durch einen Sieg gegen Yu Yangyi und sonst nur Remisen mit klassischer Bedenkzeit von 14 auf 10 verbesserte.

Und in Moskau läuft noch ein Turnier, das auf klassische Bedenkzeit komplett verzichtet – nur Blitz und eventuell Armageddon. War das ein Wunsch des frühpensionierten Vlad Kramnik, der keine Lust mehr auf lange Partien hat? Da ist er dabei, wie auch u.a. Karjakin, Dubov, Nepomniachtchi und Wei Yi. Das Format ist etwas unübersichtlich, und noch läuft das Turnier. Übertragen wird es im russischen Fernsehen – diesem Publikum könnte man vielleicht auch längere Partien zumuten. Aber eine Showveranstaltung, die gar nicht behauptet etwas anderes zu sein, ist schon OK.

Wie geht es weiter? Ab 26.6. spielen acht der zehn Norway Chess Protagonisten schon wieder in Zagreb – Kasparov wollte wohl eine Chess Tour Veranstaltung in seiner kroatischen Wahlheimat. Dann müssen Spieler wohl wieder mit klassischer Bedenkzeit gegen Carlsen patzen – Grischuk und Yu Yangyi haben diese Chance nicht, da sie dann fehlen. Hinzu kommen Giri, Karjakin, Nakamura und Nepomniachtchi.