April 24, 2024

Staufer Open und die Initiative

Das Jahr 2023 startete für mich direkt mit einem Schachturnier. Vom 02.-06.01. nahm ich an der 33.(!) Auflage des Staufer Open in Schwäbisch Gmünd teil. Ich habe lange kein Turnier mehr gespielt, das ausschließlich aus Doppelrunden bestand und war etwas schockiert davon, wie anstrengend es doch ist 🙂

 Ich hab von einigen Lesern Feedback erhalten, dass sie teilweise den Varianten in den Beiträgen nicht folgen können, daher füge ich ab jetzt unter den Beiträgen Links hinzu, mit denen ihr die Partien auf dem Brett nachspielen könnt. Ich hoffe das ist hilfreich.

Schauen wir uns aber nun den Verlauf meines Turnieres an. Es wurde nach beschleunigtem Schweizer System ausgelost, daher bekam ich bereits in Runde 1 einen nicht zu unterschätzenden Gegner – Ioannis Papadopoulos – mit einer Elo von über 2100. Zudem hatte ich die schwarzen Steine und hoffte keinen zu schlechten Start in das Turnier zu erwischen.

 

Diagramm 1: Stellung nach 12.Sd5

 

Ich spielte meine geliebte Najdorfvariante und nach einer etwas ungewöhnlichen Zugfolge und kreativem Spiel von beiden Seiten erhielten wir die Stellung in Diagramm 1 nach 12 Zügen. Hier entschied ich mich eine Qualität für einen Bauern zu opfern und spielte 12…Sxd5 13. exd5 Lxd5 14. Lf5 Lc4 15. Lxc8 Dxc8 16. Te1 Hier erreichen wir die kritische Stellung nach dem Opfer. Wie ist die Stellung einzuschätzen und warum?

 

 
 
 

Diagramm 2: Stellung nach 16.Te1

Das starke Zentrum und das Läuferpaar sollten genug Kompensation bieten, allerdings ist nicht ganz offensichtlich, wie es weitergehen soll, denn d5 ist wegen der instabilen Stellung des Läufers auf c4 nicht gut. 16…h4 springt ins Auge, aber die Varianten sind nicht so offensichtlich wie der Zug an sich. Ich berechnete 17. Se4 h3 18. Sxd6+ (nimmt Weiß den Bauern nicht, war es auf jeden Fall sinnvoll den Bauern nach h3 zu schieben) 18…Lxd6 19. Dxd6 hxg2+ 20. Kg1 Dh3 und es sieht aus als würde der weiße König Matt

 
 
 
 
 

Diagramm 3: Stellung in der Variante nach 20…Lf3!!

werden, allerdings steht auch der schwarze König noch in der Mitte und Weiß hat eine starke Ressource: 21. Lf4 – das Matt ist verhindert und die Stellung ist völlig unklar. Nach einigem weiteren Nachdenken hatte ich die Idee 19… Dg4 zu spielen, doch nach 20. Tg1 gelang es mir nicht den einzigen Gewinnzug zu finden: 20…Le2!!-+ und Weiß hat keine Möglichkeit Lf3 zu verhindern. Da ich diese Ressource in meiner Vorausberechnung nicht gesehen habe, entschied ich auf den Vormarsch des h-Bauern zu verzichten und spielte 16…f5 es folgte 17. f4 h4 18. Se2 h3 19. Tg1 De6 20. Sc3 Lf6 21.b3 und wir

 

 
 
 

Diagramm 4: Stellung nach 21. b3

erreichten die letzte kritische Stellung dieser Partie. Mithilfe einer kleinen Taktik gewann ich nun das Material zurück und konnte alle Vorteile meiner Stellung behalten: 21…exf4 22. bxc4 Lxc3 23. Lxf4 Lxa1 24. Dxa1 Kf7 25. gxh3 De4+ 26. Tg2 Sd4 die schwarzen Figuren dominieren und die Fesselung des weißen Turmes auf g2 endete bald tödlich.

 

 

 
 
 

Diagramm 5: Stellung nach 26…Sd4

 

Die erste Runde in Turnieren ist oft sehr schwierig, weil man sich erstmal „warmspielen“ muss, daher war ich umso zufriedener mit dem Verlauf dieser Partie. Doch direkt in Runde 2 wurde mir gezeigt, dass die Partien nicht einfacher werden. Ich spielte gegen Gabriel Jülg, dem es in der ersten Runde gelang gegen Lara Schulze zu gewinnen. Wieder opferte ich einen Bauern für die Initiative, dieses Mal gelang mir aber nicht mehr als der Rückgewinn des Bauern und die Partie endete Remis. In Runde 3 ging es dann gegen Marharyta Khrapko, die nach ihrem Föderationswechsel seit neuestem die deutschen Farben vertritt. Wieder erwartete mich eine seltene Najdorfvariante und nach einem strategisch komplizierten Mittelspiel landeten wir in einem noch komplizierteren Turmendspiel. Lustigerweise hatten wir beide den Eindruck, in dem Endspiel schlechter zu stehen und versuchten daher beide einen Weg zu finden, die Stellung zu halten. Daher folgte ein logischer Remisschluss. In Runde 4 spielte ich wieder mit den weißen Steinen, gegen den Hessen Samuel Minor. Meine Analyse zu der Partie könnt ihr auf meinem Youtubekanal sehen:

 
 

Diese Partie war definitiv das Highlight meines Turniers. Als Belohnung bekam ich in der nächsten Runde auch den ersten GM zugelost – Daniel Hausrath. Daniel ist ein sehr solider Spieler und strebt ruhige Stellungen an, in denen das Verständnis der Strukturen essentiell ist. Genau so behandelte er auch unsere Partie, doch nachdem ich im Mittelspiel bequem ausgleichen konnte einigten wir uns auf Remis. In der darauffolgenden Runde spielte ich mit Weiß gegen Johannes Leitherer, der eine sehr geringe Elo hatte, aber in diesem Turnier groß aufspielte und nach fünf Runden bereits 3,5 Punkte gesammelt hatte. Auch in unserer Partie spielte er stark und ich konnte erst nach langem Kneten ein Endspiel gewinnen. In Runde 7 führte ich die schwarzen Steine gegen IM Jakob Pfreundt.

 

Foto: Martin Hahn – vor der Partie müssen alle Figuren ordentlich zurechtgerückt werden

 

Meine Stellung fühlte sich die ganze Partie unangenehm an und ich gab leider viel zu früh die Hoffnung auf. Ich hatte tatsächlich einige Ressourcen, um die Partie im Gleichgewicht zu halten, aber wenn man selbst nicht daran glaubt, ist es schwer solche Fortsetzungen zu finden und somit verlor ich die Partie verdient. In Runde 8 spielte ich dann gegen den 77-jährigen Josef Gabriel, der das Turnier nach fünf Runden sensationell alleine(!) anführte.

 
 

Diagramm 6: Stellung nach 14…Sf5

Aus der Eröffnung heraus erreichte ich eine gute und aktive Stellung, doch wenn ich Schwarz hier einige Züge Zeit gebe, so wird er die Entwicklung beenden und die d-Linie neutralisieren. Daher entschied ich mich einen Bauern für die Initiative zu opfern und spielte: 15. Se4 Sxe5 16. Sxe5 Lx4 und 17. f3. Hier hatte mein Gegner die Wahl zwischen zwei verschiedenen Läuferrückzügen und wählte den falschen. Nach 17…Ld5 18. c4 f6 entstünden wilde Komplikationen und es wäre absolut unklar wer besser steht. Stattdessen spielte er 17…Lb7 18. Td7 und die weiße Initiative scheint stark. Während der Partie hatte ich großen Respekt vor dem Zug

 

 

 
 

Diagramm 7: Stellung nach 18…Se3

18… Se3. Weiß sollte hier 19. Txf7 Lxe5 20. Lxe5 Kxf7 21. Td7+ Ke8 22.Txc7 finden, und obwohl Schwarz in dieser Stellung einen Turm mehr hat, ist er chancenlos. Der Turm h8 und der Läufer b7 hängen und er kann nur einen von beiden retten. Zudem bleibt der schwarze König im Zentrum gefangen und die beiden weißen Läufer bilden zusammen mit dem Turm auf der siebte Reihe ein tödliches Duo. Ich muss zugeben, dass ich diese Variante während der Partie nicht gesehen habe und bin auch nicht sicher, dass ich sie im Falle von 18… Se3 gefunden hätte. Glücklicherweise wählte mein Gegner den Zug 18…f6 und nach 19. Sc4 e5 20.Lc1 Tc8 erhielten wir die Stellung in Diagramm 8.

 

 
 
 

Diagramm 8: Stellung nach 20…Tc8

Schwarz versucht sich an den Mehrbauern zu klammern, die Aktivität des weißen Turmes schreit jedoch danach, dass es Zeit für eine Taktik ist. Es folgte: 21. Sxb6, denn nach 21… cxb6 22. Txb7 Txc2 23. Ld3+- kann Schwarz 24. Lxf5 und 25. Txg7 mit Figurenverlust nicht verhindern. Mein Gegner verteidigte sich mit 21… Lc6 und nach 22. Txg7 cxb6 stand ich vor einer schwierigen Wahl. Die Stellung fühlte sich gewonnen an, doch scheiterte ich daran, den besten Zug zu finden.

 
 
 
 
 
 

Diagramm 9: Stellung nach 22…cxb6

Es gewönne der Zug 23. Ta7!, denn sowohl nach 23…a5 24.Lc4 Lxa4 25.Lf7++- als auch nach 23…0-0 24. g4 Sd4 25. Lc4+ Kh8 26. Lh6+- wird der schwarze König nicht mehr froh. Betrachtet man die Logik der Stellung ist es eigentlich nicht schwer den Zug zu finden, denn der Turm auf der siebten Reihe ist sehr aktiv und warum sollte man einen aktiven Turm gegen einen passiven auf c8 tauschen? Tatsächlich beruhte meine Entscheidung darauf, dass ich einen recht simplen Zug übersah: 23. Lxa6 Sxg7 24. Lxc8 und Schwarz sollte hier 24… Ke7 spielen, denn nach 25. La6 Ta8 26. Ld3 steht Weiß nur leicht besser und muss die Partie nochmal von vorne gewinnen. Jedoch entging der Zug 24…Ke7 auch meinem Gegner und es folgte: 24…0-0 25. La6 Lxa4 26. b3 Le8 27. La3 und Schwarz verlor eine Qualität und wenig später auch die Partie. Mit 5,5/8 hatte ich gute Aussichten in der letzten Runde um die Preisränge zu spielen, verwechselte jedoch direkt in der Eröffnung zwei Züge und landete gegen meinen 16-jährigen ukrainischen Gegner in einer schwierigen Stellung. Mit etwas Glück und Mithilfe meines Gegners gelang es mir jedoch die Stellung zu halten und ich erzielte mit 6/9 ein gutes Ergebnis.

 

Foto: Martin Hahn. Da meine Stellung mir gar nicht gefiel schaute ich lieber bei Eltaj Safarli zu, denn dieser konnte mit einem Sieg in der letzten Runde den Turniersieg klarmachen 🙂

Die Frau mit den meisten Punkten – Kateryna Dolzhykova – konnte unter die ersten 10 kommen und sicherte sich so einen Hauptpreis. Da es keine Doppelpreise gab erhielt ich den Preis für die beste Dame und eine kleine Belohnung für mein mutiges Spiel in diesem Turnier. Ich hatte schon immer Schwierigkeiten damit, Material zu opfern, daher habe ich mich im letzten Jahr entschieden solche Stellungen aktiv anzustreben und das Spiel mit der Initiative zu üben. Wie sich herausgestellt hat, ist es gar nicht so schlimm mal einen Bauern oder sogar eine Qualität zu opfern, denn im Schach geht es nicht nur um Material sondern auch um die Aktivität der Figuren 🙂 Ich kann euch nur empfehlen aktiv Stellungen anzustreben, die ihr nicht so gerne spielt, denn dadurch lernt man viel und bekämpft auch seine Ängste. Man kann nicht immer alles kontrollieren, was auf dem Brett passiert und es ist gut für alles bereit zu sein. Es kann passieren, dass die Ergebnisse zu Beginn nicht so gut sind, aber auf Dauer lernt man mit solchen Stellungen umzugehen und ist in einer besseren Ausgangslage für zukünftige Partien. Für mich steht nun eine längere Turnierpause an. Als nächstes habe ich die Frauen-EM im März geplant. Bis dahin werde ich die vielen Partien, die ich in letzter Zeit gespielt habe analysieren und weiter an meinem Schach arbeiten, sodass ich es vielleicht endlich schaffe, mich für den World Cup zu qualifizieren 🙂 Falls es etwas gibt, worüber ihr in dieser Zeit gerne auf meinem Blog lesen würdet lasst es mich wissen! Ich wünsche Euch ein frohes neues Jahr! Eure Josefine PS: Hier die Links zu den Partien: Runde 1 Runde 4 Runde 8

Mein Blog: https://www.josefine-schach.de