April 20, 2024

Quo vadis Deutscher Schachbund?

Offener Brief von Ossi Weiner. 

Am 1.Juni 2019 stehen beim Deutschen Schachbund richtungsweisende Neuwahlen an, welche für die Zukunft des deutschen Schachs von entscheidender Bedeutung sein werden. Zur Beurteilung der Hintergründe des zwischen dem amtierenden Präsidenten Ullrich Krause und seinem Herausforderer Uwe Pfenning tobenden Machtkampfs ist es unerlässlich, zunächst einmal einen Blick zurück zu werfen und sich an den gewaltigen Skandal zu erinnern, welcher die deutsche Schachszene im letzten Jahr heftig erschütterte.

Der Korruptionsskandal Jordan

Die vom Präsidium des DSB am 22.10.2018 veröffentlichte Sachlage stellte sich wie folgt dar:

  • Unbestrittene Tatsache ist, dass der frühere ehrenamtliche DSAM Beauftragte Dirk Jordan das in ihn gesetzte Vertrauen über viele Jahre hinweg missbraucht, seine vorgesetzten Präsidenten belogen und erhebliche Geldsummen durch geheime Nebenabsprachen mit zahlreichen Hotels systematisch abgezweigt hat. Für jede einzelne Übernachtung hat er sich eine „Spende“ auszahlen lassen, die auf die Konten mehrerer (von ihm extra zu diesem Zweck gegründeten) angeblich gemeinnützigen Vereine flossen, welche vor der Aufdeckung des Skandals niemals in Erscheinung getreten waren.
  • Für diese Tatsachen sind eindeutige Beweise vorhanden, nämlich die Geheimverträge mit den Hotels, welche diese auf Druck des DSB offenlegen mussten.
  • Herr Jordan war als ehrenamtlicher Funktionär im Auftrage des Deutschen Schachbunds tätig, daher war es ihm selbstverständlich nicht gestattet, in die eigene Tasche zu wirtschaften. Dies bedeutet, er muss alle zu Unrecht einkassierten Geldsummen mit Zins und Zinseszinsen zurückzahlen.
  • Durch diese illegalen Machenschaften ist dem DSB ein hoher finanzieller Schaden entstanden. Und dabei geht es nicht nur um die dem DSB zustehenden Hotelzahlungen.
  • Zusätzlich entstand ein erheblicher finanzieller Schaden durch die von Herrn Jordan zum Nachteil des DSB verhandelten Hotelverträge. Anstelle der Spendenzahlungen an sein Vereinsnetzwerk in Dresden hätte er als Beauftragter des DSB unbedingt einen (in der Hotelbranche allgemein üblichen) Anteil von kostenlosen Hotelzimmern für die DSAM Organisationsteams vereinbaren müssen. Rechnet man mit einem Dutzend Team-Mitgliedern und jeweils drei Übernachtungen pro Wochenende, dann kommt man in 10 Jahren auf einen hohen sechsstelligen Euro-Betrag, um welchen der Deutsche Schachbund durch diese dubiosen Machenschaften geschädigt wurde.

Wie man im Schach Magazin 64 nachlesen konnte, wurden diese „Spendeneinnahmen“ von Herrn Jordan keineswegs bestritten, doch will er angeblich nicht gewusst haben, dass diese Form der Selbstbereicherung rechtswidrig sei. Klingt dies wie eine überzeugende Entschuldigung? Aber warum hat er dann seine Fehler nicht eingesehen, und die zu Unrecht einkassierten Geldsummen einfach wieder herausgerückt? Anschließend scheint Herr Jordan eingesehen zu haben, dass diese Ausrede nicht wirklich überzeugend klang. Auf Anraten seiner Anwälte ist er zu einer anderen Verteidigungstaktik übergegangen. Er behauptet nun, dass frühere Vorstände von seinen verdeckten Provisionseinnahmen gewusst und diese angeblich geduldet haben sollen. Dies ist insofern recht spannend, wenn man sich daran erinnert, wer bis Mai 2017 für die DSAM zuständig war. Tatsächlich waren dies nämlich niemand anders als der Vizepräsident Finanzen Ralf Chadt-Rausch sowie der Vizepräsident Verbandsentwicklung Uwe Pfenning – letzterer ist nach eigenem Bekunden ein enger Freund von Herrn Jordan.

Mittlerweile hat der Deutsche Schachbund gegen Dirk Jordan Strafanzeige erstattet. Parallel dazu laufen Zivilklagen auf Auskunftserteilung und Schadensersatz. Aufgrund der eindeutigen Beweislage bestehen nach meinem Dafürhalten sehr hohe Erfolgsaussichten für den Deutschen Schachbund, auch wenn sich das Verfahren vor Gericht lange hinziehen könnte.

Gescheiterte Vergleichsbemühungen

Ullrich Krause

Unsere traurige Geschichte ist damit aber noch lange nicht am Ende! Am 1.Dezember 2018 fand in Eisenach eine Hauptausschuss-Sitzung des DSB statt, bei welcher ein möglicher außergerichtlicher Vergleich zwischen dem DSB und Dirk Jordan im Mittelpunkt stand. Der nach meinen Informationen von den Herrn Ralf Chadt-Rausch und Uwe Pfenning ins Spiel gebrachte Vorschlag sah eine Einmalzahlung in einer deutlich fünfstelligen Höhe vor, für welche Herr Jordan nicht nur eine steuerabzugsfähige Spendenquittung (!) erhalten, sondern zusätzlich auch noch voll rehabilitiert werden sollte. Dieser „Vergleich“ wäre allerdings aus juristischen Gründen unzulässig gewesen, und darüber hinaus hätte er auch die Gemeinnützigkeit des Deutschen Schachbunds gefährdet. Mehrere Landesverbände sprachen sich deshalb empört dagegen aus und kündigten für einen solchen Fall sogar an, gerichtlich gegen das DSB Präsidium vorzugehen, da ein unbegründeter Forderungsverzicht in sechsstelliger Höhe nach geltendem Recht eine Veruntreuung von Verbandsgeldern darstellen würde.

Wie soll man diese komplexen Vorgänge interpretieren? Die Ex-Vorstände Chadt-Rausch und Pfenning haben verständlicherweise sehr geringes Interesse daran, dass der Prozess DSB gegen Jordan öffentlich vor Gericht verhandelt wird, wo sie vermutlich als Zeugen für den Beklagten auftreten müssten. Dies könnte für sie zu einem äußerst problematischen Dilemma geraten, denn hätten sie die Selbstbereicherungen von Dirk Jordan nämlich bewusst geduldet, dann hätten sie sich mit größter Wahrscheinlichkeit der Beihilfe zur Untreue zulasten des DSB schuldig gemacht – die möglichen Konsequenzen kann man sich unschwer selbst ausmalen.

Meiner Meinung nach würde ein außergerichtlicher Vergleich durchaus im Interesse aller Beteiligten liegen, allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen. Zunächst müssten die Finanzen der diversen Dresdner Vereine vollständig offen gelegt werden (was Herr Jordan momentan strikt ablehnt), damit die dem DSB vorenthaltenen hohen Summen konkret beziffert und nicht nur geschätzt werden können. Danach könnte man Herrn Jordan vielleicht einen Zahlungsnachlass einräumen, sofern dieser sich bereit erklären würde, einen angemessenen Vergleichsbetrag zeitnah an den Deutschen Schachbund zu erstatten. Von allen Ämtern innerhalb des deutschen Schachs sollte er vielleicht nicht lebenslang, aber zumindest für einen angemessenen Zeitraum ausgeschlossen werden.

Ullrich Krause oder Uwe Pfenning – wer soll neuer DSB Präsident werden?

Uwe Pfenning (Wikipedia)

Uwe Pfenning – Pro und Contra

PRO: In einem lesenswerten Artikel bei „Perlen vom Bodensee“ schreibt Conrad Schormann, dass Pfenning‘s besondere Gabe darin besteht, engagierte Macher um sich zu scharen. Besonders gut soll er sich auf interne Verbandsstrukturen verstehen, wie das Einrichten von Ausschüssen und Kommissionen. Als ein „mit gepflegten Intrigen und gerissenem Ausbooten vertrauter Politiker“ erscheint Uwe Pfenning – laut Schormann – für knallharte Verhandlungen auf höheren Weltverbands-Ebenen besser gerüstet als der freundliche Schachspieler Ullrich Krause.

CONTRA: Uwe Pfenning soll – laut Schormann – seine Ambitionen auf die DSB Präsidentschaft so begründet haben, dass er sich für den Fall Jordan mitverantwortlich fühle, und die Angelegenheit nun gerne „reparieren“ wolle. Aber gerade dies ist gleichzeitig sein großer Schwachpunkt, denn wie weiter oben erwähnt befindet sich der Badener in einem unauflöslichen Interessenkonflikt zwischen den berechtigten Forderungen des Deutschen Schachbunds (welche er ja als Präsident zu vertreten hätte) und dem gleichzeitigen Wunsch nach Entlastung seines engen Freundes Dirk Jordan. Wie in aller Welt soll das denn funktionieren?

Ullrich Krause – Pro und Contra

FIDE Präsident Arkady Dvorkovic & DSB Präsident Ullrich Krause
beim Grenke Classic Turnier in Karlsruhe
(Foto: O.Weiner)

PRO: Erneut möchte ich Conrad Schormann zitieren: „ Ideen sind das Pfund von Ullrich Krause. Während rückwärtsgewandte Schächer die darbenden Vereine stärken wollen, in dem sie Online-Schach als Teufelszeug deklarieren, verbindet Krause beide Welten, der einzig richtige Weg. Die DWZ-Lizenz, die deutsche Online Meisterschaft gehen in diese Richtung.“

Von Ullrich Krause stammt auch die richtungsweisende Idee des Deutschen Schachgipfels bzw. Schachkongress. Diese sportliche Großveranstaltung wird allen Hindernissen und Unkenrufen zum Trotz am 25.Mai 2019 in Magdeburg beginnen. Mit über 500 Teilnehmern und einem Budget in mittlerer sechsstelliger Höhe handelt es sich um eine sportliche Großveranstaltung, wie es sie in Deutschland in dieser Art schon lange nicht mehr gegeben hat. Nur sehr wenige hätten dies dem DSB noch vor einem Jahr zugetraut. Die Umsetzung der Veranstaltung in Magdeburg liegt in den Händen des neuen Geschäftsführers Dr. Marcus Fenner, der auch schon die Neuaufstellung der DSAM erfolgreich realisiert hat.

Dass der amtierende Präsident gemeinsam mit seinem Vizepräsidenten Klaus Deventer unter größten Anstrengungen die korrupten Strukturen im Deutschen Schachbund bekämpft (und hoffentlich auch beseitigt) hat, wurde bereits ausführlich geschildert.

CONTRA: Laut Schormann ist der amtierende Präsident kein typischer Politiker, sondern ein „freundlich-milder Schachspieler“. Kritisiert wird, dass er am liebsten alles selbst machen will und sich dabei gelegentlich verzettelt – vielleicht fehlt ihm die notwendige Unterstützung, oder er hat es bisher versäumt, sich diese zur Seite zu stellen.

Angeblich soll Krause weniger gut vernetzt sein als sein Kontrahent. Dies scheint so nicht zuzutreffen, denn wie man weiss unterhält er exzellente Kontakte zu Bachar Kouatly (dem FIDE Vizepräsident) und vor allem dem neuen FIDE Präsidenten Arkady Dvorkovich, mit dem er in Karlsruhe intensive Gespräche über potentielle gemeinsame Projekte führte.

Wie geht es nun weiter im deutschen Schach?

Der Schachjournalist Conrad Schormann hat zum Machtkampf zwischen Krause und Pfenning etwas ziemlich Bemerkenswertes geäußert: „In der Tat sind in der jüngeren Vergangenheit wenige originäre Ideen Pfennings nach außen gedrungen – außer natürlich der, dass der DSB in der Affäre Jordan alles falsch gemacht habe. Würde ein DSB-Präsident Pfenning dieses alte Fass wieder öffnen, das wäre ein schädlicher Schritt zurück.“

Für nicht weniger problematisch halte ich im Übrigen die für viele sehr überraschende erneute Kandidatur von Ralf Chadt-Rausch, der nach seiner Wahl im Mai 2017 nach nicht einmal vier Monaten von seinem Amt zurücktrat und den DSB schmählich im Stich ließ. Meiner Meinung nach bedeutet das Antreten eines so wichtigen Ehrenamtes eine große Verantwortung, man sollte schon zumindest eine Amtsperiode durchzuhalten, wenn nicht sehr schwerwiegende private Gründe dagegensprechen. Dass Herr Chadt-Rausch jetzt noch einmal kandidieren will, nachdem er im September 2017 von genau demselben Amt ohne Angabe solcher Gründe zurückgetreten ist, finde ich – vorsichtig ausgedrückt – ziemlich befremdlich.

Nach mehr als 50 Jahren als Mitglied in mehreren Schachvereinen und früher sehr aktiver Turnierspieler möchte ich mir ein persönliches Urteil erlauben, und dabei kann ich Herrn Schormann nur beipflichten. Ein Präsident Uwe Pfenning würde für den Deutschen Schachbund einen Rückschritt in die Vergangenheit darstellen. Seine wichtigste Priorität, nämlich die „Reinwaschung“ eines mit ihm befreundeten mutmaßlichen Wirtschaftskriminellen würde auf gewaltige Widerstände innerhalb des Schachverbands stoßen, mit großer Wahrscheinlichkeit eine Prozesswelle auslösen, und in letzter Konsequenz die Gefahr einer Aufspaltung herbeiführen. Die hervorragende Arbeit der letzten zwei Jahre droht vernichtet zu werden, wenn das erfolgreiche Team abspringen und sich die gerade neu gewonnenen Sponsoren wieder abwenden würden.

Dipl.-Ing. Ossi Weiner (München)

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