April 19, 2024

Giri gewinnt in Shenzhen – also war es kein Superturnier

Reggio Emilia 2011/2012 war kein Superturnier, schliesslich gewann damals Giri (als nominell schwächster Spieler, aber Elo 2714 war ja nur eine Zwischenstation). Wie und warum er damals vor Nakamura, Morozevich und Ivanchuk landete (alle damals top10), dazu später mehr.

Biel 2017 war dagegen ein Superturnier – zwar deutlich schwächer besetzt, aber Medien- und Publikumsliebling Hou Yifan hat gewonnen. Shenzhen 2019 würde vielleicht als Superturnier anerkannt, wenn ein anderer Spieler gewonnen hätte – es war ein Rennen zwischen Giri und einem anderen Spieler mit (manchmal) kurzem Nachnamen, nicht etwa Moro oder Nepo oder Pono.

Üblich ist, Artikel mit dem Endstand zu beginnen, also mache ich das: Giri 6.5/10, Hari(krishna) 6, Ding Liren 5.5, Rapport 5, Jakovenko und Yu Yangyi 3.5. Neben Giri selbst ist auch Ding Liren top10, und Yu Yangyi war relativ nahe daran – wobei er nun natürlich etwas Boden eingebüsst hat. In Biel 2017 waren Navara und Harikrishna nicht einmal top20, und die anderen Teilnehmer noch schlechter. Nun bezeichnete ein norwegischer Giri-Lästerer Shenzhen widerwillig als „softes Superturnier“ – kurz nachdem er davon profitiert hatte, dass Georg Meiers zweiter schachlicher Selbstmord-Versuch erfolgreich war. Aber Thema dieses Artikels ist nicht Carlsen-Hype und auch nicht Keymer-Hype, ich schreibe über Shenzhen (was andere eher selten taten).

Zur Dramatik der letzten Runde zitiere ich nun die Homepage, von der auch das Titelbild stammt:

丁立人执白对弈哈里克利斯纳。两人都下得十分强硬,寸步不让。但进入残局哈里行棋稍软,被丁立人建立起优势。复杂局面中丁立人不慌不忙,充分发挥了思维缜密的特点,乱战之中又吃掉对手一兵。虽然此后行棋欠精确,但哈里并没有把握住机会,眼见丁立人制造了两个通兵,哈里只得停表认负。此役两人大战73回合。吉里和雅科文科同样是打得天昏地暗。开局两人前赴后继地兑子,进入残局还是吉里抢先冲入敌阵,互相配合封锁了对手的火力,并且趁机吃掉对手一兵,建立起优势。但雅科文科也做殊死一搏,国王率先加入到战斗之中,让对手的通路兵很难通过防线。此时吉里表现出极大的耐心,一点一点地调整子力位置,最后双马配合迫使黑王后退从而取得胜利。这盘棋虽然只有64回合,却大战了5个半小时。

Nicht allzu hilfreich, aber Google kann ja Chinesisch in Chinesisch mit lateinischen Buchstaben übersetzen:

Ding Liren spielte das Spiel gegen Harry Krishna. Beide sind sehr hart und dürfen sich nicht bewegen. Aber als er das Endspiel betrat, spielte Harry etwas weicher und wurde von Ding Liren gegründet. In der komplizierten Situation geriet Ding Liren nicht in Panik und übte die Merkmale des nachdenklichen Denkens vollständig aus: Im Chaos aß er seinen Gegner. Obwohl das Spiel nicht genau genug war, begriff Harry die Gelegenheit nicht. Als Ding Liren zwei Passanten machte, musste Harry aufhören und das Negative erkennen. Die beiden Männer kämpften 73 Runden.“

Giri und Jakovenko sind gleichermaßen fassungslos. Die beiden begannen, zum Posten zu gehen und gingen bis zum Ende, oder Jiri stürzte zuerst in die feindliche Linie und kooperierte miteinander, um die Feuerkraft des Gegners zu blockieren, und nutzte die Gelegenheit, die gegnerischen Soldaten zu fressen und sich einen Vorteil zu verschaffen. Jakowenko kämpfte aber auch verzweifelt, und der König übernahm die Führung, als er sich der Schlacht anschloss, was es den Passanten der Gegner schwer machte, die Verteidigung zu passieren. Zu dieser Zeit zeigte Giri große Geduld und passte die Stellung der Streitkräfte nach und nach an, und schließlich zwangen die beiden Pferde den schwarzen König zum Rückzug und Sieg. Obwohl dieses Spiel nur 64 Runden hat, kämpft es seit 5 ½ Stunden.

Kann ein Leser Chinesisch? Ist das wirklich eine Sprache, die man gar nicht vernünftig übersetzen kann? Oder war dieser Reporter über-kreativ? Hat er Ahnung vom Schach, oder schreibt er sonst vor allem über Boxkämpfe? Da kenne ich mich nicht aus, aber 73 bzw. 64 Runden wäre da sehr viel. Wie dem auch sei, ich muss wohl das tun was ich ohnehin mache: mir eigene Eindrücke bilden und auf dieser Grundlage schreiben – über alle zehn Runden, zunächst die ersten neun, und vor allem zu zwei Spielern:

Giri spielte oft remis und gewann mitunter, nämlich in der zweiten, sechsten und zehnten Runde. Schon sein erster Sieg war im Nachhinein turnierentscheidend – Giri-Harikrishna 1-0. Bereits nach 13 Zügen verschwanden die Damen auf ungewöhnliche Weise vom Brett, Giri kopierte dabei sich selbst und seinen Landsmann Jorden van Foreest. Dann wurde Schwarz im damenlosen Mittelspiel komplett überspielt, ohne offensichtlich Hari-Giri zu begehen. Nach 27 Zügen hatte Weiß einen Mehrbauern, schon nach 40 Runden Zügen war Schluß. Am Ende war es ein Turmendspiel, auch Giris weitere Siege in Endspielen wobei es da länger dauerte.

Für seinen zweiten Sieg gegen den unglücklich bzw. erfolglos agierenden Yu Yangyi brauchte Giri hundertzwei Züge. Etwas schneller ging es vielleicht, und eventuell hatte Yu Yangyi tief im Endspiel (aus seiner Sicht Springer gegen Läufer und Mehrbauer) noch Remischancen. Gerne wird ja behauptet, dass nur Carlsen Marathonpartien spielt, dem ist nicht so. Die letzte Runde kommt später.

Harikrishna konnte seine Niederlage gegen Giri gut überkompensieren, es folgten vier Siege nacheinander! Alle im Endspiel: Damenendspiel gegen Rapport, Leichtfigurenendspiele gegen die Chinesen Ding Liren und Yu Yangyi, Türme und Leichtfiguren gegen Jakovenko. Danach hatte Hari einen halben Punkt Vorsprung auf Giri. Dabei blieb es auch nach dem Remis im zweiten direkten Duell. Harikrishna stand jedenfalls vielversprechend, aber Giri spielt eben immer Remis – es sei denn, er gewinnt oder verliert.

Tags darauf verlor Harikrishna dann gegen Rapport, natürlich im Endspiel und wohl vermeidbar – aber sein 57. Zug war zu suboptimal. Nun lagen Harikrishna und Giri wieder gleichauf, nach Runde neun hatte der Inder wieder die Nase vorn: Sieg im Endspiel gegen Yu Yangyi.

Schlußrunde kommt gleich, zuerst noch zu einer Besonderheit im Turnier: eine Partie ohne Giri, ohne Hari, aber mit Sieger und Verlierer. Noch etwas war ungewöhnlich bei Ding Liren – Jakovenko 1-0: Entscheidung im Mittelspiel, Ding Liren hat aber auch nix kapiert!! Auf ungewöhnliche Weise hatte er zwei Türme gegen die gegnerische Dame getauscht, und seine Dame war in dieser konkreten Stellung dann besser – bzw. sein König stand sicherer als der schwarze und das war partieentscheidend. Hübsch war der räumend-blockierende Schlusszug: nach 42.Le8-d7! drohte sowohl 43.De8# (scheiterte zuvor am eigenen Läufer) als auch 43.Dg7# (scheiterte zuvor an -Tb7xg7), die dritte „Figur“ im weissen Mattangriff war ein Bauer auf h6. Jakovenko verhinderte beide Mattzüge, indem er sofort aufgab.

Nun zur Schlussrunde, und zwar auf Deutsch. In den beiden turnierrelevanten Partien fiel die Entscheidung jeweils … im Endspiel. Ding Liren brauchte gegen Harikrishna zwei Anläufe und dadurch schlappe 72 Züge für den vollen Punkt. Bei Giri-Jakovenko waren es nicht 64 Züge sondern 92, aber offenbar war die Liveübertragung ausgefallen und der Rest wurde erst später ergänzt.

Auf die ganzen Remispartien kann ich nicht auch noch eingehen, für Yu Yangyi-Rapport in der Schlussrunde mache ich eine Ausnahme und erteile zunächst wieder meinem chinesischen Kollegen das Wort: „Yu Yu hielt das weiße Spiel gegen La Port. Nach dem Start arbeitete Laporte hart, um den Aktivitätsraum im Heckflügel zu erweitern, und bald war er flach. Im Endspiel gewann er zwei Autos, um die Armee zu gewinnen, und stellte einen schwachen Vorsprung her. Je tiefer der Krieg wurde, desto deutlicher wurde der Vorteil von Laporte’s Soldat. Yu Yu ist unnachgiebig, packt Schritt für Schritt den Gegner und spielt Schach. Dieses Spiel hat zwei harte Kämpfe für 75 Runden.“ Offenbar berichtet er auch über Autorennen.

Mit Turm, Läufer und Mehrbauer gegen Turm und Springer verpasste Rapport den Sieg, später offenbar nochmals im reinen Turmendspiel – Turmendspiele sind immer remis, es sei denn eine Seite kann gewinnen. Und auch das Computerurteil 0.00 kann sich ändern, wenn einer dann daneben greift. Aber Yu Yangyi spielte eben Schach, also wurde es remis – oder lag es daran, dass in diesem Turnier Partien ohne Hari und ohne Giri (fast) immer Remis endeten?

Soviel zu diesem Turnier, nun ein Blick in die Vergangenheit: 2011/2012 galten in Reggio Emilia Fussball-Regeln (drei Punkte für einen Sieg) und Giri wählte das richtige Fussball-System, nämlich 4-4-2 (+4=4-2), auf dem geteilten zweiten Platz landeten damals Morozevich, Nakamura und Caruana mit +4=3-3. Er kann also durchaus auch gewinnen und verlieren, letzteres bewies er zuletzt beim Gashimov-Memorial – in neun Runden sechs Remisen und drei Niederlagen. Auch das wird für die Mai-Liste ausgewertet, zusammen mit Shenzhen hat Giri somit seine üblichen 50%.

Zwischenzeitlich war Giri mehrfach ebenso nahe an einem Turniersieg wie Keymer an einer GM-Norm. Zum Beispiel hatte einmal beim Tal Memorial Nepo nur knapp die Nase vorn, und in Wijk aan Zee brauchte Carlsen mal einen Stichkampf gegen Giri (so gewinnt er ja auch seine WM-Matches). Ein Jahr zuvor hatte Wijk aan Zee die Tradition, dass bei Punktgleichheit beide (eventuell auch mehr als zwei Spieler) Turniersieger sind, abgeschafft.

Sehr knapp war es auch November 2018 in … Shenzhen: Vachier-Lagrave, Giri und Ding Liren hatten alle 5.5/10, der Franzose hatte nach Wertung die Nase vorn. Heute unterbrach MVL seine Vorbereitung auf die nächste Runde in Baden-Baden, um Giri per Twitter zu gratulieren: „Congratulations @anishgiri for not only winning in Shenzhen, but most importantly for defying the universe!“ Eines ist erstaunlich: Giri selbst hat sich offenbar noch nicht auf Twitter geäussert, ist er etwa sprachlos? Es könnte im Prinzip auch sein, dass er in China keinen Twitter-Zugang hat. Aber zuvor im Turnier war er auf Twitter präsent, und „HariChess“ schaffte es nun auch – trotz Niederlage zum Schluss zufrieden mit seinem Turnier, Gratulationen an den verdienten Sieger Giri.

Wie geht es weiter? Grenke Chess läuft ja noch, da war offenbar kein Platz für Rapport – die anderen Shenzhen-Protagonisten haben ja den falschen oder gar keinen Bundesliga-Verein. Teilnahmevoraussetzung ist nun einmal Verein Baden-Baden oder Deizisau, alternativ nur Sieg im Open. Diverse Weltklassespieler spielen dann im Mai Schnell- und Blitzschach: bei der Chess Tour in Abidjan ist es ohnehin vorgesehen, bei der FIDE Grand Prix Serie in Moskau im KO-Format kann man es umgehen, wenn man sich mit klassischer Bedenkzeit durchsetzt.