April 20, 2024

Monomanisch am Brett, nahe am Unendlichen?

Von Peter Muender 

Der spanische Publizist und Lyriker Vicente Valero ist begeisterter Schachspieler und geht gern mit seinem kleinen Steckschach auf Reisen. In den jetzt veröffentlichten „Schach-Novellen“ präsentiert er einen luziden Mix aus Reise-Impressionen und Schach-Erfahrungen | Foto: Berenburg Verlag/ March.es

Zu seinem 50.Geburtstag wollte sich der spanische Lyriker, Literaturwissenschaftler und passionierte Schachspieler Vicente Valero etwas Besonderes gönnen: Er reiste von seiner Heimatinsel Ibiza zur Zürich Chess Challenge, um die Großmeister Caruana, Anand, Gelfand und Kramnik live bei einem Turnier zu erleben. Die 1809 gegründete Schachgesellschaft Zürich – der älteste Schachverein der Welt – hatte das Turnier im Hotel Savoy ausgetragen, wo Valero die am Brett grübelnden Meister ganz aus der Nähe erlebte. Fasziniert stellte er fest, dass ihm beim Betrachten der Spieler Ideen, Assoziationen und Zitate aus Nabokovs Roman Lushins Verteidigung sowie Zweigs Schachnovelle durch den Kopf gingen.

Die vier Schachgenies, die da beim Zürich Chess Challenge „sorgfältig zurecht gemacht und herausgeputzt mit ihren Wollkrawatten steif da saßen und wie Musterknaben wirkten“, überlegt Valero, ähnelten Nabokovs komplexbeladenem Unglücks-Genie Lushin keineswegs. Aber hatten Nabokov und Zweig ihren beiden Schachspieler-Protagonisten nicht monomanische Züge verliehen, die sozusagen zur essentiellen Berufsqualifizierung gehörten, mit der sie sich von anderen Menschen unterschieden? „Alle Arten von monomanischen, in eine einzige Idee verschossenen Menschen haben mich zeitlebens angereizt“, zitiert Valero aus Zweigs Schachnovelle , „denn je mehr sich einer begrenzt, umso mehr ist er andererseits dem Unendlichen nahe.“

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