April 24, 2024

So gewinnt Fehler-Festival, wird Carlsen alt?

Am Ende hatte Wesley So gut lachen – und das obwohl er in zehn Partien nur dreimal Remis spielte und zwei Gewinnstellungen, obwohl er es durchaus versuchte, nicht Remis halten konnte. Generell war es ein merkwürdiges Skilling-Finale: zwei Spieler, die im Schach vor allem keine Fehler machen wollen, schafften das nur in einer von acht Schnellpartien – der allerletzten. Da versuchte Carlsen das, was er in WM-Matches zweimal geschafft hatte: Remis mit Standard-Bedenkzeit und dann mit verkürzter Bedenkzeit zuschlagen. Aber diesmal konnte er diesen Plan nicht komplett umsetzen.

Carlsen war bereits im Viertel- und Halbfinale durchaus verwundbar, im Finale hat er dann verloren, und das an seinem 30. Geburtstag. Ob die Niederlage verdient war, darüber kann man diskutieren: Carlsen gewann immerhin zwei von drei Partien ohne offensichtliche gegnerische Hilfe, So schaffte das höchstens einmal. Dabei wurde das Publikum prächtig unterhalten, Unfälle gehören dazu. Im Schach haben sie ja nicht dieselben Konsequenzen wie bei der Formel 1, auch da lief es zuletzt glimpflich ab.

Bei zehn Partien zu jeder ein paar Worte, vorab zusammengefasst: Tag 1 vier Weißsiege also unentschieden. Tag 2 zwei Schwarzsiege und zwei Remisen unterschiedlicher Art, also wieder unentschieden und Verlängerung. Im Blitzen dann nicht unentschieden sondern 1.5-0.5 für Wesley So.

Carlsen-So 1-0: Aus der Eröffnung heraus direkt ein für Schwarz wohl leicht schlechteres Endspiel, das gefiel vermutlich beiden: So weil das dann ja Remis wird, Carlsen weil der Gegner womöglich später einen Fehler macht. Nur Siegbert, Namensgeber meines Vereins, hat sich – falls er das Match im Internet verfolgte – beleidigt im Grab umgedreht. Die Spieler wollten ihn weder ganz noch halb: kein Tarrasch mit 5.-exd5 (gilt heutzutage als zweischneidig-riskant) und kein Semi-Tarrasch mit 5.-Sxd5 (aktuell populär und recht feuerfest). Stattdessen 5.-cxd4!?, so spielte So schon mehrfach, andere Weltklassespieler versuchten es auch mal.

Der Unfall dann im 33. Zug, 33.-Tf5?? – so nicht, Herr So! Nach 33.-Kf6 hätte ein Bauernendspiel entstehen können, das trotz entferntem weissem Freibauern remis wäre – der schwarze König wäre schnell genug beim weissen b-Bauern und dann schnell genug wieder am Königsflügel. Der norwegische Fernsehkommentar meinte übrigens, dass Schachbegriffe wie „queenside“ und „kingside“ das Publikum überfordern – lieber „linker und rechter Flügel“. Dabei ist das doch erst recht verwirrend: was wenn ein Zuschauer tatsächlich mal Schach spielen sollte und das auch mal mit den schwarzen Figuren? – dann ist rechts plötzlich links oder umgekehrt. In der Politik ist das eindeutiger definiert oder auch nicht – aber ich will nicht noch weiter abschweifen und Turbulenzen beim niederländischen Forum für Demokratie erwähnen (Schachbezug deren Mitglied und Abgeordneter Loek van Wely). Zurück zur Partie: alternativ konnte Carlsen dann ein Endspiel mit Mehrbauer erreichen – mit Türmen und ungleichfarbigen Läufern wohl auch weiterhin in der Remisbreite.

Stattdessen entstand ein Schwerfigurenendspiel mit gegnerischem Mehrbauer, aber das war irrelevant – im Gegensatz zur Tatsache, dass Weiß zuerst umwandelte und so die Initiative hatte: Schachschachschachschachschachschachschach 1-0. Dabei musste er immerhin die richtigen Schachgebote finden. Wie dumm der schwarze König auf g5 stand zeigte sich auch in einer anderen Variante: 35.e7 Te5 (Ausrufezeichen vom Computer, da es weniger schnell verliert als die Partiefortsetzung) 36.Tb5! – Desperado-Fesslung des schwarzen Turms, dann bekommt nur Weiß eine neue Dame.

So-Carlsen 1-0 1/2 1-0: Sie redeten Italienisch miteinander, und dann öffnete Carlsen die a-Linie … für den Gegner. So bekam Oberwasser und versuchte dann, seine Gewinnstellung Remis zu halten – am Ende erfolglos. Der erste unterhaltsame Moment im 36. Zug, was tun aus weißer Sicht – 36.e5 (droht 37.Ld3+) oder 36.Ld3 (droht 37.e5+)? So wählte ersteres und hat damit in einem Zug 10 Computerbauern eingestellt. Wie ging es danach weiter? Es ging weiter, weiter, immer weiter bis Carlsen 89.-Kf8??? entkorkte, danach eine verkürzte Version des Endes der ersten Partie: Schachschachschachschachmatt. Matt nicht auf dem Brett, da Carlsen zuvor aufgab. Hier musste So nur die einzigen Schachgebote finden (bzw. die einzigen plausiblen, Dame vom Läufer gedeckt).

Carlsen-So 1-0: Wie würde Carlsen auf diese vermeidbare Niederlage reagieren? Er randalierte, für ihn eher untypisch, mit 11.g4!? und So reagierte darauf suboptimal. Später hatte er zwar wieder Ausgleichschancen aber verzichtete im 30. Zug auf Gegenspiel mit -c5 nebst b7-b5-b4. Vielleicht hatte er die Partie bereits abgehakt und damit zuviel Respekt vor dem Gegner? Aber generell war es ein glatter Sieg für den Norweger.

So-Carlsen 1-0 war wieder ein buntes Treiben: Sveshnikov mit 7.Sd5 kannte Carlsen natürlich, 9.Df3!?? kannte er dann nicht. Der (mir) bekannteste Spieler, der das zuvor versuchte, ist der Bayer (nicht gebürtig, aber „Servus“ gehört zu seinem Vokabular) Michael Fedorovsky. Er war mir bereits vor meiner Zeit in München als Bundesligaspieler ein Begriff, nach meinem Umzug und vor Corona habe ich auch mal im Blitz gegen ihn verloren. Später waren die Livekommentatoren Peter Leko und Vladimir Kramnik fast sprachlos – passiert nicht oft, aber So schaffte es, indem er seine Schwerfiguren auf der vierten Reihe vertripelte. Und wenig später patzte Carlsen.

Am nächsten Tag beschlossen die Spieler, dass das nun vorläufig genug Weißsiege waren:

So-Carlsen 0-1: Der Norweger kann auch Caro, kann er das wirklich? Spätere Versuche überzeugten eher nicht, aber das erste Mal reichte es für einen glatten Schwarzsieg.

Carlsen-So 0-1: Kaum zu glauben aber wahr – dieselbe Eröffnung wie in der ersten Partie, und diesmal gewann Schwarz gegen den „Endspielgott“ Magnus Carlsen. Ab dem 17. Zug bekam So Oberwasser, und später dominierte sein Springerpaar das weisse Läuferpaar.

So-Carlsen 1/2: wieder Caro-Kann, diesmal aus der Eröffnung heraus besser für Weiß – jedenfalls für einige Züge nach dem krummen schwarzen 14.-Dd7. Allerdings konnte Weiß nur mit 18.Tae1 (logisch) seinen Vorteil behalten, aber was dann nach 18.-Lf7 ? Nur das spektakuläre Damenopfer 19.Txf6 Dxh3 Txg6 usw. . Livekommentator Leko hatte das jedenfalls ansatzweise gesehen. So bevorzugte nach für Schnellschach reiflicher Überlegung (3 Minuten) 18.Lb5?? und hätte nach 18.-Sf4 mehr oder weniger aufgeben können. Aber Carlsen gewährte mit 18.-Dc8? Amnestie: Weiß musste zwar eine Qualität spucken aber hatte dafür etwa ausreichende Kompensation – am Ende dann Remis durch Zugwiederholung.

Carlsen-So 1/2: Auch Carlsens Neuerung 22.Sd3 änderte nichts daran, dass 5.Te1 gegen den Berliner eben remislich ist – was Carlsen dann nach 23.Dd2 akzeptierte bzw. es war eben Sinn der Sache. Bis dahin hatte So es schon einmal auf dem Brett und zweimal auf dem Monitor, auch beim Lindores Abbey Turnier der ersten Serie gegen einen gewissen Magnus Carlsen. Offiziell gilt im Turnier übrigens Remisverbot vor dem 40. Zug, es sei denn man findet eine Zugwiederholung. Aber die Schiedsrichter beließen es bei einer Verwarnung für die Spieler – „es gibt Regeln für alle, und Ausnahmen für Carlsen?“.

Damit wurde nun geblitzt – Sinn der Sache aus Sicht von Carlsen, aber es lief nicht nach Wunsch:

So-Carlsen 1-0 1/2 1-0: Wieder ein misslungener Caro-Kann, wieder versuchte So dann, seine Gewinnstellung Remis zu halten, und wieder klappte es nicht: Carlsen patzte mit 34.-d4? und So verpasste danach den Remisweg 38.Kxf1, 38.Lxf1 und wenig später 1-0 – der weiße a-Freibauer war partieentscheidend.

Carlsen-So 1/2: So wollte wohl dieselbe Eröffnung wie in der ersten und sechsten Partie, Carlsen wich mit 5. ähm äh e3 ab und bekam kurz danach das, was er gerne hat: früher Damentausch und ein ausgeglichenes Endspiel. So gönnte ihm mit 17.-Ld6?! 18.Lxb5 axb5 19.Sxb5 eine unbalancierte und vielversprechende Stellung. Gerade hatte Leko erwähnt, dass Weiß die Qualität nicht sofort nehmen muss sondern erst seine Stellung verbessern kann, und schon spielte Carlsen – der „do not hurry“ generell beherrscht – 21.Sxc8+. Der Vorteil war wenig später dahin, eher bekam Schwarz Oberwasser – aber man kann So hier nicht verübeln, dass er das dann zum Remisendspiel König gegen König vereinfachte.

Vielleicht zeigte Carlsen im Match (und generell im Turnier) schlechte Form, im Interview hinterher dann Normalform – ebenso viele Ähms und Ähs wie immer bei ihm. Nach dem ersten Tag hatte er allerdings auch dem norwegischen Fernsehen ein Interview verweigert.

Weiter geht es nun am Brett mit den russischen Meisterschaften – Nepomniachtchi, Karjakin und Svidler müssen sich wieder an einen normalen Tagesrhythmus gewonnen, statt abends bis nach Mitternacht zu spielen. Im Internet dann ab dem 26.12. zu bevorzugten norwegischen Fernsehzeiten – davon gehe ich jedenfalls aus. Eine Überraschung gab es bereits: nicht der internationale Medienliebling Firouzja darf mitspielen und auch nicht Vidit mit seinen indischen Fans, sondern David Anton Guijarro dank Stimmen sicher vor allem aus Spanien. Daneben die acht, die diesmal die KO-Runde erreichten, und drei weitere Spieler – noch einer wird vom Publikum bestimmt.