Die Grand Chess Tour stand unter dem Motto „reiche Spieler reicher machen und sich damit brüsten“. Dieses Jahr ist sie Corona-bedingt ausgefallen, dafür gibt es ja die Magnus Carlsen Chess Tour – ähnliches Motto mit noch mehr Carlsen-Hype und ganz ohne klassische Bedenkzeit. Das geht im Internet eben nicht, jedenfalls zwei von vier Spielern, die nun nochmals am Monitor sitzen, sind wohl froh darüber.
Ich werde einen Kurzbericht zur KO-Phase von „Legends of Chess“ nachreichen, zuvor aber die fällige Vorschau zum Finale. Dabei sind zwei Spieler, die wohl am meisten von Corona profitieren und vielleicht im eigenen Interesse hoffen, dass die aktuelle Situation noch länger anhalten wird. Gemeint sind Carlsen und Nakamura. Außerdem Dubov als belebendes Element, dafür bekommt er das Titelbild (entstanden am Rande der Schnellschach-WM 2019). Außerdem Ding Liren, der zwar auch Spielmöglichkeiten und Einnahmequellen hatte aber dennoch vielleicht aus schachlicher Sicht am meisten unter Corona leidet: immer spätabends bis nach Mitternacht am Computer, nie kann er sich dabei auf sein Internet verlassen. Mal abgesehen von denen, die momentan kaum Spielmöglichkeiten und Einnahmequellen haben – davon betroffen übrigens nicht nur Elisabeth Paehtz, sondern auch männliche Spieler mit Elo bis ca. 2720.
Carlsen konnte sich in Corona-Zeiten noch mehr profilieren, wenn das denn überhaupt geht. Wann wird eine Turnierserie nach einem lebenden Spieler benannt, außer man macht es selbst? Außerdem konnte er sein Lieblingsformat ausgiebigst präsentieren. Auch in WM-Matches will er ja klassische Bedenkzeit abschaffen zugunsten von viel Schnellschach – könnte daran liegen, dass er mit klassischer Bedenkzeit zweimal nicht besser war als der Gegner. Nakamura schwächelt bekanntlich mit klassischer Bedenkzeit, das ist derzeit fast vergessen bzw. irrelevant.
Beim anstehenden Turnier ist das Halbfinale „best of five“, das Finale gar „best of 7“, also noch mehr Wiederholung (dieselben Spieler treffen aufeinander) als bei den vier Qualifikationsturnieren. Carlsen und Ding Liren trafen dieses Jahr im Internet bereits 16-mal aufeinander. Nun kommen mindestens 9 Partien dazu (wenn einer dreimal 2,5-0,5 oder 3-0 gewinnt), maximal sind es 20 Schnellpartien und darüber hinaus womöglich noch Blitz und vielleicht Armageddon.
Das ist das eine Halbfinale, das andere lautet Nakamura-Dubov. Jeweils drücke ich den Außenseitern die Daumen. Wenn die Favoriten gewinnen sollten, kann sich die Anzahl Internet-Partien zwischen Carlsen und Nakamura anno Corona (2020) ebenfalls verdoppeln, bisher sind es 24.
Wie haben sich die vier Spieler eigentlich qualifiziert? Carlsen gewann drei der Qualiturniere, Dubov eines, damit zwei Plätze für „best of the rest“. Nakamura freute sich wohl, dass Ding Liren bei „Legends of Chess“ schwächelte, so stand er bereits nach der Vorrunde dieses Turniers im Finale. Neben Carlsen-Fans freute sich auch Ding Liren, dass Carlsen dann das Turnier gewann – oder auch nicht, vielleicht hatte er aus seiner Sicht bereits genug Nachtschichten absolviert.
Wie kam es dazu, dass belebende Elemente wie Nepomniachtchi oder auch Giri im Finale fehlen? Ja, auch Giri wäre ein belebendes Element – wenn man sich seine Partien anschaut statt auf seine Hasser zu hören. Davon gibt es mehr als genug im Internet – schließlich gibt es da viele Carlsen-Fans, und ein guter Carlsen-Fan hasst Giri.
Es war das Ergebnis der Legends of Chess KO-Runde: Nachdem die Legenden bei Legends of Chess ausgeschieden waren, blieben vier Spieler übrig – wie sich herausstellte, waren es ein Opportunist, zwei Schachspieler und ein bis zwei ambitionierte Klötzchenschieber. Am Ende gewann der Opportunist Carlsen, reaktives Schach reichte ihm.
Sein Halbfinale gegen Svidler war eher eine Farce, warum spielte Svidler soooo schlecht? Vielleicht schämte er sich dafür, dass er eher aus Versehen die KO-Runde erreicht hatte. Vielleicht fürchtete er um seinen Job als Kommentator bei chess24, wenn er nicht lieb zu Carlsen ist. Selbst sagte Svidler nach dem ersten Tag „der Plan war schon richtig, nur die Ausführung falsch“. Eine Chance hatte er in der allerersten Partie, da Carlsen mit 15.-g5? plötzlich kreativ wurde – was nicht zu seinen Stärken zählt. Aber Svidler ver(sch)wendete fünf Minuten für allerlei wilde Varianten und spielte dann 16.fxg5 (richtig) 16.-Dxg5 und nach 2 Sekunden 17.Tf5? (falsch, und das wusste er selbst!). Tania Sachdev hat Carlsen glatt mit seinem Gegner verwechselt: „you made -g5 work!“ – nicht Carlsen, sondern Svidler sorgte dafür, dass es aus schwarzer Sicht doch funktionierte. In der aus weisser Sicht zweitbesten Variante 17.Sf5 (noch besser 17.h4) 17.-Se5 18.h4 Dxg4+ 19.Dxg4 Sxg4 bezeichnete sie 20.Le2 als Computerzug – nur Computer kommen auf die Idee, eine gegnerische Figur anzugreifen?! Auch am zweiten Tag stand Svidler einmal klar besser – erst vergab er dann seinen Vorteil, und dann patzte er. Hmm, sehr viele Worte für ein Match zum Vergessen …. .
Das Match Nepomniachtchi-Giri ging dagegen in die Verlängerung. Der erste Tag war vom Ergebnis her einseitig zugunsten von Nepo – in der dritten Partie lag es daran, dass Giri früh viel Bedenkzeit investierte die ihm danach fehlte. Das zweite Match gewann Giri im Armageddon, letztendlich nach einem Doppelfehler – erst er selbst, dann sein Gegner. Vielleicht hat Caissa Nepomniachtchi da für sein zynisches Spiel bestraft – Baldrian-Variante 5.Te1 gegen die Berliner Mauer und dann versuchen, den Gegner über die Zeit zu heben. Zuvor hatte Giri zweimal einen Rückstand aufgeholt. Im dritten Match wurde dann erst viel Remis gespielt, Absicht konnte man ihnen dabei nicht unterstellen. In der zweiten Blitzpartie entkorkte Nepo dann Schottisch nebst 8.h4!? und das war ein voller Erfolg. Insgesamt war es ein Match, das naturgemäß einen Sieger haben musste aber eher keinen Verlierer verdient hatte. Carlsen-Svidler hatte dagegen einen Verlierer verdient, deshalb gewann Carlsen.
Im Finale konnte Nepomniachtchi Carlsen am ersten Tag zunächst Paroli bieten und hatte erst im Blitzen das Nachsehen. Und was war am zweiten Tag? Nach eigener Aussage hatte Nepo seine Armageddon-Niederlage gegen Giri mit Whiskey weggespült, nun hatte er sich vielleicht schon vor dem Match eine Flasche Whiskey genehmigt – wobei er auch bei früheren Gelegenheiten manchmal grottenschlecht spielte und es gab keine anschliessende Dopingkontrolle. 16.-f5???? in der ersten Partie, darauf hatte Carlsen zwar gehofft aber selbst er, erfahrener Empfänger grober gegnerischer Fehler (z.B. 20.-f6??? vom selben Nepo im Vorrunden-Match), rechnete nicht damit. 17.Lc4+ war der erste aktive weisse Zug im ähm äh London-System, und schon hatte er eine Gewinnstellung. Die zweite Partie erinnerte dann an U12-Turniere: ein Spieler gibt Material, der andere sammelt es ein und gewinnt. Carlsen ist weder für Figureneinsteller noch für Opfer bekannt, durchaus für reaktives Schach das wiederum triumphierte. Immerhin zeigte er ein bisschen Lehrbuch-Kreativität: das sizilianisch-typische Qualitätsopfer 26.-Txc3, nachdem er zuvor zwei Qualitäten mehr hatte. Die erste hatte Nepo geopfert (mehr oder weniger spielbar, wenn man richtig fortsetzt), die zweite hatte er verdaddelt.
Wie schafft es Carlsen, seine Gegner immer wieder zu groben Fehlern zu bewegen – selbst im Internet, wo sie sein flegelhaftes Verhalten während der Partie ignorieren können? Auf diese Frage habe ich keine Antwort und stelle sie trotzdem. Für Nepomniachtchi war es das fünfte Match an fünf Tagen, Carlsen hatte zuvor im Halbfinale zwei ruhige Tage und dann einen Ruhetag.
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