April 19, 2024

Clutch Chess Halbfinale

Nun sind auch die Halbfinal-Matches entschieden. Zunächst schien es (aus meiner Sicht „drohte es“), dass die beiden größten Pragmatiker-Opportunisten der Schachszene die nächste $$$$$-Phase erreichen würden, dann kam es in einem der beiden Matches anders.

Carlsen-Aronian 12-6 war vom Ergebnis her deutlich. Dabei entschieden „Details“, die eben reihenweise zugunsten des Norwegers ausfielen.

Caruana-So 9.5-8.5 hatte zwei unterschiedliche Tage und war insgesamt ausgeglichen: je vier Siege sowie vier Remisen. Aber nach Clutch-Regeln war Caruana „gleicher“. Beim ersten Versuch in diesem Format war ja Caruana besser, und So trotzdem gleicher.

Nun Details zu beiden Matches. Es würde sich anbieten, sie abwechselnd-durcheinander zu besprechen, aber ich mache es „Match für Match“ –  in Klammern die Ergebnisse an den beiden Tagen, die Remispartien ignoriere ich jeweils (weitgehend):

Carlsen-Aronian 12-6 (6-2 und 6-4): Carlsens Viertelfinale gegen Jeffery Xiong lief ja nach dem Motto „zweimal wurde er überspielt, sechsmal patzte der Gegner“. Diesmal gab es beides bereits in der ersten Partie: Carlsen wurde am Damenflügel komplett überspielt und hatte am Königsflügel gewisse Schummelchancen. Selbst sagte er hinterher, dass so etwas in einer praktischen Partie gleiche Chancen für beide Spieler bedeutet. Da zeigte sich seine ganze Erfahrung: als erfahrener Empfänger gegnerischer Fehler rechnet er immer damit – Aronian machte dann nicht einen sondern zwei direkt nacheinander und verlor eine Gewinnstellung. Ave Carlsen Halleluja!

In der zweiten Partie stellte sich Aronian gegen Carlsens Aljechin-Verteidigung ziemlich dumm an und verlor erneut. Dann zwei Remisen, und schon war es clutchtime. In der ersten Clutchpartie der Knackpunkt im 24. Zug: statt nach 24.h5 mit 24.-f5 die Stellung zu öffnen mit Ausgleich, blieb Aronian passiv. Carlsen bekam seine Lieblingsstellung: risikolos hin und her ziehen und auf einen gegnerischen Fehler warten, der dann kam. In der letzten Partie des Tages bekam Carlsen mit gegnerischer Hilfe wieder Oberwasser. Am Ende zeigte sich dann aber, dass er taktisch verwundbar ist – Dauerschach und Remis.

Aronian hat sich danach für sein schlechtes Spiel entschuldigt – muss er doch nicht, war ja für einen guten Zweck: was gut ist für Carlsen, ist gut fürs Schach. Das sagen jedenfalls Carlsen-Fans, und die wissen Bescheid. Ave Carlsen Halleluja!

Der zweite Tag begann wie der erste: Aronian stand durchgehend besser und verlor am Ende. Statt Carlsens bemühte Kreativität konsequent anzugehen (z.B. 8.d4 statt 8.d3) wollte er seinen Gegner imitieren und ein besseres Endspiel irgendwie gewinnen – stattdessen schaffte er es, das noch zu verlieren. Carlsen meinte dazu hinterher „wenn man auf diese Art gewinnt, kann wenig schiefgehen“. Ich übersetzte das mal: „wenn der Gegner so lieb zu mir ist (auch wenn er nicht den Vornamen Wesley hat), dann gewinne ich eben“.

Auch die zweite Partie verlief ähnlich wie tags zuvor: nach einem gegnerischen Lapsus (22.-Sc8?? 23.Ta8) durfte Carlsen einen Königsangriff zelebrieren. Ab hier dann nur noch Remisen. In der ersten (insgesamt dritten) Clutchpartie hatte Aronian nochmals Chancen, da Carlsen stellungsunkonform zwei Türme für die gegnerische Dame tauschte. Aber wieder setzte Aronian nicht energisch fort und musste sich noch strecken, um später den Remishafen zu erreichen. Für ihn war es zum Zeitpunkt der Partie auch schon weit nach Mitternacht in Yerevan.

Das Match war damit entschieden, in der letzten Partie ging es nur noch um eventuell zusätzliche $$. Wohl eine vierstellige Summe, damit kann man Carlsen – der für andere Dinge wohl fünfstellig entlohnt wird – doch nicht motivieren: Schlafwagen-Variante 5.Te1 gegen die Berliner Mauer, Figuren abtauschen, remis. Und für Aronian war es ja noch weiter nach Mitternacht.

Caruana-So 9.5-8.5 (2-6 und 7.5-2.5) – zwei unterschiedliche Tage, am zweiten gibt es ja mehr Clutch-Bonuspunkte. Der erste Tag verlief wie bei Carlsen-Aronian, dieselben Ergebnisse in sechs Partien und auch eher kein Weltklasseniveau. In der ersten Partie machte Caruana mit 9.f3? einen Anfängerfehler – so würde man es unter Anfängern bezeichnen, da Caruana einen einschlägigen Ruf hat nannte man es „tiefe Vorbereitung“. Caruana verlor eine Qualität und war enttäuscht, dass So danach die aus seiner Sicht besten Züge 12.-Dh5 und 13.-f6 fand. Waren das die besten Züge? Engines teilen diese Einschätzung nicht – es gab diverse Wege nach Rom, 13.-f6 kostete letztendlich gar die zuvor geschenkt gewonnene Qualität. Caruana war danach (mit Weiß!) nahe am Ausgleich, aber nach 20.-b5!? 21.Lxb5? kam – in Coronazeiten – die zweite Angriffswelle.

Die zweite Partie verlief anders: im Stile eines Carlsen-Gegners vergeigte Caruana ein Remisendspiel. Dann zweimal Remis, und die erste Clutchpartie war mysteriös: Mit dem Evans-Gambit(!?) erreichte Caruana klaren Vorteil, der ihm dann jedoch entglitt. Statt nun Dauerschach zu geben/zu akzeptieren verlor er das noch.

Ein mögliches Szenario war, dass So tags darauf den Rest remisieren würde – es kam anders: Zwar konnte er nochmals à la Carlsen gewinnen – Gegner vergeigt ein Remisendspiel – aber davor und danach gewann nur Caruana. Die erste Partie, weil So zu fleissig Figuren tauschen wollte – dadurch stand er mit Weiß dann schlechter. Die zweite Partie gewann er auch. Und auch die vierte Partie, da So in einer harmlos-vereinfachten Stellung (entstanden aus der alten Caro-Kann Hauptvariante 3.Sd2 dxe4) plötzlich gegnerische Minidrohungen nicht würdigte.

Wieder war es clutchtime, und wieder war die erste Partie mysteriös: So hat eine Qualität wohl eher geopfert als eingestellt, Kompensation hatte er bestenfalls im Sinne von „nicht einfach für Caruana, den Materialvorteil zu verwerten“. Das war der 20. Zug, nach viel Hin und Her gewann Caruana in 81 Zügen und lag im Match erstmals vorne. Was machte So in der zweiten Partie? Schnell den Remishafen ansteuern – Remis spielen kann er ja, auch wenn er es in diesem Match nur sporadisch demonstrieren konnte.

Wie geht es weiter? Ich wage eine sichere Prognose: „Car“ wird das Turnier nun gewinnen. Ob -lsen oder -uana, das wissen wir dann am Sonntag. Ihr letztes Match über 12 Partien endete bekanntlich unentschieden – auch clutch hätte daran nichts geändert, im WM-Match blieben ja beide sieglos und ungeschlagen. Damals gab es Verlängerung mit Carlsen-freundlicher Zeitkontrolle – die gibt es nun von Anfang an, demnach ist Carlsen wohl Favorit.