April 19, 2024

Spiel mit dem Tod

Eines der skurrilsten Schachexperimente jemals begann vor 35 Jahren: Wolfgang Eisenbeiss, Präsident der Schweizerischen Vereinigung für Parapsychologie, ließ den zweimaligen Vizeweltmeister Viktor Kortschnoi per „Medium“ gegen den 1951 gestorbenen Schachmeister Géza Maróczy zu einer Fernschachpartie antreten. Die Partie sollte beweisen, dass es ein menschliches Fortleben nach dem Tod gibt.

Das Interesse an parapsychologischen Phänomenen hatte zu jener Zeit Hochkultur. Der israelische Mentalist, Motivationstrainer und Bühnenkünstler Uri Geller erregte schon ab den 1970er-Jahren Aufsehen mit spektakulären Fernsehauftritten, indem er angeblich durch telepathische Kräfte versteckt gemalte Zeichnungen nachmalte, stehengebliebene Uhren zum Ticken brachte und vermeintlich ohne eigenes Zutun Besteck verbog. Geller bezeichnete sich nicht als Zauberkünstler, sondern gab an, die vorgeführten Effekte aufgrund „paranormaler Vorgänge“ zu bewirken. Seine „Kräfte“ habe er von Außerirdischen von einem Planeten „Hoova“ erhalten – oder von Gott. Skeptische Zauberkünstler sahen in seinen Vorführungen normale Zauberkunststücke.

Kortschnoi (by Frank Stiefel)

Hypnotiseur im Zuschauerraum

Übersinnliches finden wir auch in der Schach-Vergangenheit von Kortschnoi, bevor dieser sich dem toten Maroczy zum Wettkampf stellte. Bei der von allerlei Affären umrankten WM 1978 in Baguio (man denke nur an Karpows berühmten Joghurtbecher) tauchte im Zuschauerraum ein sowjetischer Psychologe namens Suchar auf. Kortschnoi mutmaßte, dass dieser vor den Partien mit seinem Gegner Anatoli Karpow hypnotische Sitzungen durchführte und den Weltmeister auch während der Partien visuell aufmunterte. Kortschnoi selbst fühlte sich von Suchar gestört.

Es war die Zeit des Kalten Krieges, der Umgang miteinander war rau, ein kuscheliges Beieinandersitzen auf Pressekonferenzen nach WM-Partien, wie es heute gang und gäbe ist, war damals undenkbar. Im Buch Der KGB setzt matt – Wie der sowjetische Geheimdienst die Schachwelt manipulierte von 2009 schreibt Boris Gulko, Michael Tal (bis 1983 Sekundant von Karpow) habe bei der Schacholympiade 1990 in Novi Sad Kortschnoi erzählt, falls dieser Karpow als Weltmeister entthront hätte, wäre er vom KGB ermordet worden. Davon habe er während seiner Arbeit für Karpow erfahren.

Das Beitragsbild ist von Nette Robinson

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