April 20, 2024

Vidit verdaddelt Turniersieg, Firouzja profitiert

In einem kurzen Titel kann man nicht alles erwähnen: Nachdem Vidit das Masters-Turnier des Prager Internationalen Chessfestivals über weite Strecken dominiert hatte und schon fast – aber eben nur fast – als Turniersieger feststand, teilten dann fünf (5) Spieler Platz eins mit relativ bescheidenen 5/9. So viele Punkte hatte Vidit bereits nach sieben Runden – danach war 6/8 realistisch und (später in der Partie) 5.5/8 quasi unterschriftsreif, aber Vidits Kugelschreiber war nicht einverstanden. Die beiden Sonneborn-Berger-Besten der fünf punktgleichen Spieler blitzten dann um den Turniersieg. Wer dabei war war auch ein bisschen Lotterie – das ist anderen Quellen entweder gar nicht aufgefallen oder sie wollen den aufkommenden Firouzja-Hype nicht relativieren.

Regelmässige Leser wissen, dass Hype nicht so mein Ding ist – eher Relativierung und Ursachenforschung. Das Titelbild bekommen daher der glückliche Turniersieger Firouzja (selbst sagte er „I was lucky“) und der „Pechvogel“ Vidit. Allerdings gibt es im Schach durchaus Glück aber kein Pech, Vidit war – jedenfalls in Runde 8 – selbst schuld. Fast alle Spieler haben zumindest indirekt in den Kampf um den Turniersieg eingegriffen – am meisten der Elofavorit JK Duda, am wenigsten bzw. nicht zwei der drei Kellerkinder, Ragger und Grandelius. Fotos von Petr Vrabec und Vladimir Jagr, ab Turnierseite auf Facebook gefunden.

So stand es nach neun Runden plus Stichkampf: Firouzja 5/9+2/2, Vidit 5/9+0/2, Duda, Anton Guijarro, Shankland 5, Vitiugov und Harikrishna 4.5, Ragger und Navara 4, Grandelius 3.

Die Challenger-Gruppe hatte dagegen einen klaren Sieger: Jorden van Foreest 6/9, Abasov und Esipenko 5.5, Piorun, Bartel, Stefansson 5, Nguyen 4.5, Cernousek 3.5, Kriebel und Krejci 2.5. Wer sind die Herren am Tabellenende? Ich kannte sie auch nicht, alles Tschechen – auch Thai Dai Van Nguyen. Nicht der Rest der Nationalmannschaft hinter Navara, sondern vergleichsweise schwache Spieler. Den jungen Mann an der Tabellenspitze kenne ich dagegen seit Jahren, erstmals sprach ich ihn als FM. Sein Sieg war vom Turnierverlauf her überraschend und dabei wenn man genauer hinschaut doch logisch. Der Isländer Hannes Stefansson machte den Firouzja aus Wijk aan Zee – näheres später wobei ich die B-Gruppe nur streife.

Dafür bekommen sie das erste Gruppenfoto vorab.

Die Masters stehen dagegen in der zweiten Reihe, sonst wären die „Futures“ vor ihnen zumindest teilweise unsichtbar. So versteckt sich nur Nils Grandelius – vielleicht schämt er sich, dass er sich nicht rasiert hat. Firouzja fehlt entschuldigt – er war ja Nachrücker im Turnier für Wei Yi, der wegen Corona-Virus nicht anreisen konnte, und hatte bis kurz vor dem Turnier noch andere Pläne. Das war der erste Zufall auf dem Weg zum Turniersieg, aber nicht der einzige.

Und nun steht zunächst Vidit im Mittelpunkt. Anfangs gewann er mit Weiß und remisierte mit Schwarz – da er mehr als einmal Weiß hatte, hat er diesen Rhythmus nicht bis Turnierende beibehalten. Drei Siege waren souverän und entstanden auf unterschiedliche Art und Weise. In der ersten Runde zerlegte er Sam Shankland im Königsangriff.

In Runde 3 hatte Markus Ragger in einem Grünfeld-Endspiel das Nachsehen – demnach hat Vlasti Hort Vidits Vorschlag 1.d4 umgesetzt und ausgeführt.

In Runde 4 hat dann Jeroen van den Bergh ein bisschen mitgespielt – Vidit hatte Schwarz, also wurde das Remis. Welchen alten Bekannten aus Wijk aan Zee Jeroen in Prag getroffen hat – da muss der Leser sich noch etwas gedulden (oder er kann bereits spekulieren).

Und dann – das hatten wir bereits als Titelbild – hatte Firouzja das Nachsehen. Er war ähnlich chancenlos wie in Wijk aan Zee gegen Carlsen. Damals spielte er mit Weiß plan- und hilflos, nun hatte er mit Schwarz den falschen Plan – Bauernraub auf b2. Wenn er, auf Kosten einer Qualität, auf a3 noch einen Bauern eingesammelt hätte, wäre seine Stellung noch einigermassen spielbar – nach 12.-Da5? (statt 12.-Dxa3) stand er bereits glatt auf Verlust. Kampfgeist hin, Kampfgeist her, nach 24 Zügen war Schluss.

Vidit konnte verkraften, dass er in Runde 7 mit Weiß nur Remis spielte – gegen Landsmann Harikrishna war es optisch spektakulär, dennoch oder gerade deswegen möglich, dass beide mit diesem Ergebnis einverstanden waren (ob sie es bereits vor der Partie kannten ist ein anderes Thema).

Allerdings hinterher Gesprächsstoff für Vidit, Hari, Anna, Liese und den kibitzenden Jorden van Foreest.

Wie eingangs erwähnt und nun besprochen, hatte Vidit damit 5/7. Sein nächster Gegner hatte bescheidene 3/7 (zwei Niederlagen und Sieg gegen Grandelius) und schien auch gegen Vidit auf der Verliererstrasse:

Hier noch nicht, aber wenig später griff David Navara in der Eröffnung daneben – statt nach 12 Zügen gegen Firouzja stand Vidit diesmal nach 13 Zügen klar besser. Später missachtete er eine Regel aus dem Jugendschach: immer zunächst Schachgebote überprüfen. Nach 33.Tdf7+ behält Weiß zwei Türme auf der siebten Reihe, 34.b3 pariert das drohende Grundreihenmatt auch einen Zug später. Und dann kann er wieder den schwarzen König belästigen, sein Se4 stand in diesem Sinne (und überhaupt) auch gut. Nach 33.b3? Txd7 34.Txd7 war der Vorteil jedenfalls ziemlich geschrumpft. Nach der Zeitkontrolle war das Turmendspiel remislich, aber Vidit verschmähte zunächst eine Zugwiederholung (das meinte ich mit „Remis war unterschriftsreif“) und spielte dann konsequent und erfolgreich auf Verlust. So war die letzte Runde plötzlich spannend, wobei er immer noch einen halben Punkt Vorsprung auf drei Verfolger hatte.

Was machte Firouzja bis dahin? Die recht blamable Niederlage gegen Vidit hatten wir bereits, daneben zwei Siege. Gegen Harikrishna wiederholte sich der Trend aus Wijk aan Zee: in Firouzjas Partien beherrscht ein Spieler die spanische Eröffnungssprache nicht. Bei Tata Steel Chess war es zunächst Kovalev, dann machte Firouzja das gegen Carlsen selbst.

Dann kam Runde 7 gegen Duda. Der Pole vernachlässigte Regeln für Anfänger: beim Flügelangriff nicht das Zentrum und die eigene Königssicherheit vernachlässigen. Starke Spieler wissen, dass es dazu Ausnahmen gibt – aber dies war keine.

Dazwischen ein verpasster Sieg gegen Vitiugov. Der Russe konnte das freche 28.Sf6 einfach ignorieren, oder sich nach 28.-gxf6 richtig verteidigen. Da er weder das eine noch das andere tat, bekam Firouzja Oberwasser bei ungewöhnlicher Materialverteilung – Dame und Läufer gegen Turm und drei Leichtfiguren. Aber er konnte den Sack nicht zumachen, es wurde remis.

Dann kam die Schlussrunde:

Wieder spielte Duda „sofort“ auf Angriff, nun gegen Vidit und nun war es korrekt. Da Vidit suboptimal reagierte, wurde daraus 1-0. Der alleinige Turniersieg war bereits dahin, sollte es einen Stichkampf geben und wenn ja gegen wen? Duda hatte seinen Beitrag geleistet (sein anderer Sieg im Turnier war in Runde 1 mit Schwarz gegen Navara). Drei weitere Partien waren turnierrelevant: Vitiugov verlor „unnötig“ gegen Shankland – aus einer unkonventionellen Eröffnung heraus stand er mit Schwarz prima und verlor dann den Faden und nach und nach die Partie.

Firouzja entkorkte gegen Anton Guijarro Königsindisch. Weiß bekam starken Angrif und Gewinnstellung aber konnte den Sack nicht zumachen. Vorübergehend stand dann gar Schwarz besser, aber ein Kontersieg für Firouzja wurde es dann doch nicht – remis

und Gesprächsbedarf hinterher.

Schiedsrichter Pavel Votruba sagte dann Firouzja, dass er nun nachsitzen musste bzw. durfte. Er war oben gemeint – alle Jahre wieder ist er auch Schiri in Wijk aan Zee. Woher wusste Votruba das, bzw. warum gab es diesen Stichkampf Vidit-Firouzja?

Weil Navara-Harikrishna kurz zuvor beendet war, Ergebnis 0-1. So lautete die Reihenfolge nach Sonneborn-Berger Vidit 22.5, Firouzja 22.25, Duda 22 – wenn ich mich nicht täusche, hätte es bei beiden anderen Ergebnissen in dieser Partie einen Stichkampf zwischen Vidit und Duda gegeben. Auch das war also ein Zufall zugunsten von Firouzja. Bevor ich zum Stichkampf komme, zeige ich mehrere Spieler individuell:

Der Fast-Turniersieger Santosh Vidit

bekam immerhin einen Preis – für die beste Partie der Runde zuvor.

Der neue Publikums- und Medienliebling Alireza Firouzja

David Anton Guijarro war nahe dran am alleinigen Turniersieg – er musste nur seine Gewinnstellung gegen Firouzja gewinnen. Immerhin hat er nach dem Turnier nun wieder Elo über 2700, in der März-Liste wird es diesmal auch offiziell.

Vitiugov hatte neben Vidit vielleicht das meiste Pech oder Unvermögen im entscheidenden Moment. Die abschliessende Niederlage gegen Shankland war aus meiner Sicht unnötig, tags zuvor konnte er gegen Duda eine Tablebase-Gewinnstellung nicht gewinnen. Mehr als 50% und damit der geteilte, eventuell auch alleinige Turniersieg war möglich.

David Navara bekommt als Lokalmatador eine kleine Fotoserie.

Ein Autogramm für einen Fan

und danach auch ein paar freundliche Worte

Ebenfalls Aufmerksamkeit für das junge weibliche Geschlecht – zumindest umgekehrt ist es der Fall, nicht ganz klar mit wem David hier flirtet.

Multitasking beherrscht er auch – oder vielleicht nicht, aber wenn es danach einen kleinen Unfall gab wurde dieser nicht fotografisch dokumentiert.

Das war das Ende der ersten Stichkampfpartie – beide in Weiß, Firouzja gewann mit Schwarz. Es war eine gängige Blitzpartie in der es hin und her ging – vielleicht stand Schwarz über längere Phasen besser, aber Weiß hatte die klareren Gewinnchancen. Am Ende liess Vidit sich dann im Endspiel matt setzen.

In der zweiten Partie musste er demnach mit Schwarz gewinnen, stand zwar besser aber nur ein bisschen und überschritt dann die Bedenkzeit. 2-0 im Stichkampf für Firouzja war vielleicht nicht Zufall, aber jedenfalls in dieser Höhe übertrieben.

Die Sieger des Masters. Vidit hat sich zwischenzeitlich umgezogen und erwägt eine andere Sportart.

Und hier alle zehn und noch einige mehr. Harikrishna gewinnt den Sonderpreis für die farbigsten Schuhe, schliesslich hat Aronian in Prag nicht mitgespielt. Und nun zu den Challengers:

Sieger Jorden van Foreest zunächst individuell

und nun mit den beiden Nächsten Abasov (links) und Esipenko.

Kurz und knapp zum Turnierverlauf: Hannes Stefansson punktete zunächst am fleissigsten – 4/5 zu Turnierbeginn. Dabei spielte wohl eine Rolle, dass er anfangs neben Esipenko (remis) alle vier Tschechen hatte und in diesen Partien dreimal Weiß. Später bekam er dann die anderen Spieler (neben Esipenko) mit Elo über 2600, zum Schluss verlor er gegen Piorun und van Foreest. Immer noch ein gutes Ergebnis für ihn. Auch Firouzja hatte in Wijk aan Zee zunächst relativ leichte Gegner, später kam der Dreierpack Carlsen-Caruana-Anand.

Jorden van Foreest begann mit fünf Remisen und gewann dann drei seiner vier restlichen Partien – ebenfalls gegen Tschechen und zum Schluss gegen Stefansson. Was er besser machte als der Isländer: er blieb ungeschlagen. Zu den beiden anderen auf dem Foto mit ihm: Abasov war zwar gegen 2600+ relativ erfolgreich, aber konnte gegen Elo unter 2600 gar nicht gewinnen. Esipenko hatte vor der letzten Runde die vermeintlich besten Chancen auf den Turniersieg, dann aber nur ein Weißremis gegen Keller-Krejci.

In Prag wurde noch mehr Schach gespielt:

Hier der Turniersaal insgesamt

und hier an anderem Ort ein Simultan von Boris Gelfand, der auch beim Livekommentar mitmachte – ebenso Loek van Wely.

Wie geht es weiter? Was Firouzja betrifft, warten wir mal ab. Wei Yi wurde in Firouzjas Alter als zukünftiger Weltmeister gehandelt, das ist aktuell eher nicht mehr der Fall. Jahrelang hiess es, dass Hou Yifan „demnächst“ Elo 2700 knacken und dann noch deutlich mehr erreichen würde – hat sich wohl definitiv erledigt.

Wie geht es mit dem Turnier in Prag weiter? Anspruch bzw. Mission ist laut Homepage „The long-term goal of the project is to establish a tradition of organizing a chess festival on par with the world’s finest events, at both tournament strength and organizational levels.“ – langfristig wollen sie eines der weltbesten Turniere werden, betrifft Stärke des Teilnehmerfelds und Organisation. Organisation kann ich nicht beurteilen, beim Teilnehmerfeld ist natürlich noch Luft nach oben. Wohl eher nicht (aus meiner Sicht: hoffentlich nicht) vergleichbar mit Norway Chess oder der Chess Tour, plus Navara (Lokalmatador) und nächstes Jahr Jorden van Foreest (hat sich ja qualifiziert), eher vergleichbar mit Wijk aan Zee – also einige top10-Spieler aber nach wie vor viel Platz für die zweite Garnitur.

Auf einigen Fotos sieht man AVE – das Prager Festival ist auch etwas vergleichbar mit Grenke Chess, Vereinsmeisterschaft von Baden-Baden und Deizisau: mehrere Teilnehmer spielten bei Europacups für Ave Novy Bor. Das wird wohl auch so bleiben.

Was Vereine betrifft: Derzeit spielt Firouzja für den Münchner SC in der Zweiten Bundesliga. Für welchen Verein und in welcher deutschen Liga er nächste Saison spielt, dazu von mir keine Prognose.