Dezember 4, 2024

Der tragische Fall des Großmeisters Rausis

Der aus Lettland stammende Großmeister Igors Rausis ist jüngst von der FIDE für sechs Jahre gesperrt worden und darf während dieser Zeit weder als Spieler noch als Trainer oder Schiedsrichter an FIDE-Turnieren teilnehmen. Außerdem wird ihm der Großmeistertitel entzogen.

Manch einer mit Amateur-DWZ tut heute so, als habe Großmeister Rausis ihn persönlich am Brett betrogen – was angesichts der Stärke-Verhältnisse absurd wäre. Rausis hat aktuell Elo 2685.

Großmeister Igors Rausis auf der Turniertoilette beim Open in Straßburg.

Natürlich musste gegen ihn eine harte Strafe ausgesprochen werden – weniger für den dreisten Betrug als für die Dusseligkeit, wie sich der für erstaunliche viele Föderationen aktive, aber aus Lettland stammende GM dabei erwischen ließ. Andererseits ist der 1961 geborene Rausis wahrlich nicht mehr der Jüngste und Schach könnte beinahe das Einzige sein, was er kann. Die seinen Fall bereits jetzt spiegelnde Wiki-Seite führt zu dieser Vermutung: https://de.wikipedia.org/wiki/Igor_Rausis

Rausis wohl eher tragischer als empörender Fall zeigt die verzweifelte Situation, in der sich jene, daheim hoch geachteten, Meister befinden mögen, die aus den ehemaligen Ostblock-Staaten hierher kommen und bald feststellen, dass anders als daheim Schach hierzulande kaum beachtet und ergo kaum gefördert wird, dass aber die Spielstärke der Entwurzelten oft rapide nachlässt, weil zugleich auch das Alter seinen natürlichen Tribut fordert.

Das Einzige, was diese Spieler im Leben haben – oder hatten – ist Schach. Hier, jetzt muss ich siegen! Sonst ist alles aus. Eine Niederlage, nein, darf nicht sein! Die Miete muss gezahlt werden, das Ansehen vor anderen, mehr noch vor sich selbst muss aufrecht erhalten werden! Natürlich klappt das nicht, ein Ertrinkender kann sich nur begrenzte Zeit auch auf dem seelischen Ozean über Wasser halten. Dass ein Spieler mit diesem Existenzdruck wohl kaum eine konzentrierte Leistungen zu bieten vermag, kann man sich vorstellen.

Rausis selbstredend falsche & unfaire Lösung lag in diesem Fall nahe, sehr nahe: Der Griff zur Steckdose. Deus ex machina, der Gott aus der Maschine. Seine Gattin, die freundliche Weltklasse-Fernschach-Spielerin Olita Rause, am Brett eine IM, setzt diese Elektro-Dinger in ihrem Metier doch ständig völlig legal ein und jetzt … ach … vielleicht doch nur ein- oder zweimal, wenn’s einfach nicht so läuft … nur gegen einen von diesen wachen, jungen Kerlen … So ähnlich mag der von Angst und Entsetzen getriebene Großmeister gedacht haben.

Die jetzt gerade neu im Amt befindlichen FIDE-Leute hätten für diese Demonstration ihrer Tatkraft vielleicht ein anderes Opfer finden können. Schließlich trifft man mit diesem Keulenschlag zugleich die Ehefrau und die zwei kleinen Kinder in dieser Familie, die nun von IM Olita Rause allein durchgebracht werden muss. Die Mehrheit verficht ja die Meinung, dass Schach ein Sport sei. Mir ist keine Sportart bekannt, in der man den Athleten beim ersten aufgedeckten, wenn auch groben, Regelverstoß seiner Existenz beraubt, worauf es hier ja hinaus läuft. Würde man das im Fußball, Eishockey, Ringen etc. vergleichbar lang mit einem Berufsverbot bestrafen? Ich glaube nicht.

Unverständlich ist erst recht, warum Rausis nun noch nicht mal weiter (im FIDE-Bereich!) als Trainer arbeiten darf. Ob mit dieser Einschränkung gemeint ist, dass er sehr wohl als Clubtrainer arbeiten dürfte (wer sollte ihm das wirksam verbieten können? Der Arm der FIDE reicht weit, oder wie?), erschließt sich noch nicht. Und natürlich darf er nun lange Zeit nirgendwo auf Preisgeld-Jagd gehen. Das Risiko hatte er mit seinem unwürdigem „Toilet-Gate“ (irgendwo schon mal gehört …) in Kauf genommen.

Ralf Mulde