April 19, 2024

„Spielervereinbarung“: Offener Brief von GM  Dr. Robert Hübner

GM Dr. Robert Hübner (Foto: DSB)

Seit über sechzig Jahren habe ich an Mannschaftskämpfen in verschiedenen Ländern Europas teilgenommen. Das ging stets ohne Schwierigkeiten. Jetzt zwingt der Deutsche Schachbund als einziger der zahlreichen mir bekannten Verbände in aller Herren Länder diejenigen, welche in der zweiten Bundesliga spielen wollen, eine sogenannte „Spielervereinbarung“ zu unterschreiben; in dem Schriftsatz wird sie des weiteren als „Vertrag“ bezeichnet.

Was ist der eigentliche Zweck dieses neuen, sonst nirgendwo geübten Verfahrens? Nach Durchsicht des Schriftsatzes fällt die Beantwortung der Frage leicht: Den einzelnen Spielern soll die Möglichkeit entzogen werden, jemals seine persönlichen, individuellen Rechte dem Deutschen Schachbund gegenüber geltend machen zu können. Es wird aber das Verhältnis zwischen der Organisation und dem Spieler durch das Bürgerliche Recht geregelt; es bedarf dazu keines „Vertrages“, der einer Seite alle Rechte gibt, der anderen Seite alle Rechte nimmt. Diese Feststellung gilt insbesondere für § 1.3 und § 2 des Textes.

Ich bespreche einige der Formulierungen, die den Schriftsatz zieren.

1) Unter „§ 1.2 Vertragszweck“ heißt es:

„Der DSB verurteilt jegliche Form von Gewalt, unabhängig davon, ob sie körperlicher oder seelischer Art ist; er verurteilt jedwedes Verhalten, das das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung verletzt.“

Was hat diese Aussage in einem „Vertrag“ zu suchen? Man kann sie nur auf eine Weise verstehen. Der Deutsche Schachbund teilt dem sogenannten Vertragspartner mit: „Du, der du in unserem hehren Kreis zugelassen werden willst, bist natürlich für Gewalt und gegen das Recht sexueller Selbstbestimmung. Du bist ein potentieller Verbrecher.“ Es finden sich hier Ansätze zu einem Gesinnungsstrafrecht, wie es für totalitäre Strukturen kennzeichnend ist. Dies wird vollkommen klar aus § 2, in dem mit Verweis auf den zitierten Satz Sanktionen angedroht werden.

2) Unter § 3 „Vermeidung und Aufklärung von Verstößen“ wird gesagt:

„Der Spieler nimmt davon Kenntnis, daß […] es dem Schiedsrichter erlaubt [ist], Kleidung, Gepäck oder andere Gegenstände in einem abgesonderten Bereich zu untersuchen…“

Um die Ungeheuerlichkeit dieser Bestimmung auszuloten, hält man sich am besten ein Fallbeispiel vor Augen. Nach dem Wortlaut dieses Paragraphen hat der Schiedsrichter die Befugnis, mich zu zwingen, mit ihm zu meinem Wagen zu gehen und dort meine Habseligkeiten zu durchwühlen, während ich in meiner Partie noch fünf Minuten Zeit zur Verfügung habe. Es ist offensichtlich, daß solche Befugnis nicht zur Vermeidung und Aufklärung von Verstößen dient. Wie oben festgestellt wurde, soll den Vertretern des Deutschen Schachbundes unbeschränkte Rechtshoheit gegenüber jedem Spieler verliehen werden; ein anderes Ziel gibt es nicht.

3) Der § 6 („Übergangs- und Schlußbestimmungen …“) wurde von den Vertretern des Deutschen Schachbundes so ausgelegt, als ob sie jederzeit ohne Angabe von Gründen diese Vereinbarung widerrufen könnten. Das bedeutet sofortigen Ausschluß aus dem Spielbetrieb. Warum sollte ich eine Vereinbarung unterzeichnen, die mich in völliger Rechtlosigkeit zurückläßt und mir nicht einmal die Teilnahme am Spielbetrieb sichert?

Man mag meinen, daß solche Fälle, wie sie unter 2 und 3 geschildert wurden, in der Praxis nicht vorkommen. Meine Erfahrung widerspricht solcher Annahme. In sechzig Jahren habe ich am Brett kein einziges Mal einen ernsthaften Streit mit einem Gegner gehabt; mit Schiedsrichtern hatte ich dutzendweise Zusammenstöße. Mehrmals wurde ich von Schiedsrichtern körperlich angerempelt, obwohl der Deutsche Schachbund sich gegen Gewalt ausspricht; mehrmals habe ich gegen Schiedsrichterentscheidungen mit Erfolg den Rechtsweg beschritten.

Der Schriftsatz des Deutschen Schachbundes zeigt Mißtrauen und Verachtung gegenüber den Spielern; es ist selbstverständlich, daß auch der Spieler in diesem Fall Mißtrauen aufbaut und nicht mit einer angemessenen, sondern einer wörtlichen Auslegung der Bestimmungen rechnet. Dafür sind so viele Beispiele aus der letzten Zeit bekannt, daß die Aufzählung von Fällen überflüssig ist.

[1] Längst ist in unserer Gesellschaft die Einsicht abhanden gekommen, daß ein sinnvolles Miteinander nur auf der Basis gegenseitigen Vertrauens möglich ist.

 

[1] Ich erwähne nur das schöne Vorkommnis, daß man die Partie eines Spielers als verloren wertete, weil dieser in der Sekunde, die der Schiedsrichter für den Beginn der Partie erwählte, aufgestanden war, um von einem Mannschaftskollegen einen Kugelschreiber zu borgen.

Dr. Robert Hübner

[mks_accordion]
[mks_accordion_item title=“Spielervereinbarung / Muster Unterwerfungserklärung“]

Im April/Mai 2015 wurde die „Spielervereinbarung“  für die 2. Bundesliga eingeführt. Sie unterschied sich erstaunlicherweise von der der 1. Bundesliga . So sollte z.B. der Schiedsrichter in der 2..BL das Recht auf Leibesvisitation des Spielers auch ohne Verdachtsmomente haben. Damals spielte der Unterzeichner zusammen mit u.a. Dr. Robert Hübner, Dr.Jan Sprenger, Thomas Jackelen,Alex Dranov bei dem Godesberger SK in der 2.BL West. Der überwiegende Teil der Spieler lehnte die Unterzeichnung ab und die Mannschaft mußte zurückgezogen werden. Davon hat sich der gerade auch in der Jugendarbeit sehr engagierte Godesberger SK bis heute noch nicht erholt. In der Saison 2015/1

Bodo Schmidt (by GF Hund)

6 spielte die 2. BL West nur mit 9 Mannschaften.

Kurz vor Beginn dieser Saison erlaubte jedoch der DSB -ohne den Godesberger SK in Kenntnis zu setzen- einigen Aachenern Spielern die Spielervereinbarung durch Streichungen und/oder Zusätze abzuändern. Davon erfuhren wir erst ein Jahr später.

Seit rd. drei Jahren engagiere ich mich in meinem Heimatverein SC Siegburg. Wir sind nach mehrfachem Aufstieg hintereinander nun in die 2. Bundesliga aufgestiegen. Wir dachten , daß man uns  die gleichen Rechte einräumen würde wie den Aachenern Spielern -also mindestens den Zusatz “ bei begründetem Verdacht“ zu akzeptieren.

Weit gefehlt. Wir erhielten einen Brief des ehemaligen Bundesturnierdirektors Herrn Alt in dem er sogar dreist bestritt, daß es abgeänderte Spielervereinbarungen gäbe und das wir unverändert
zu unterschreiben hätten. Spieler, die dies nicht machen,“hätten in der Bundesliga nichts zu suchen“ Wir haben dann beim DSB zwei Anträge gestellt. Zum einen die Spielberechtigung für die 2. BL auch bei Streichung des Wortes verdachtsunabhängig zu erhalten und die Ehrenmitglieder Dr. Robert Hübner und Vlastimil Hort von der „Spielervereinbarung auszunehmen.

Beides wurde abgelehnt und durch das Bundesturniergericht bestätigt. Für den ersten Antrag mit der Begründung, das die Spielberechtigung der Aachener Spieler Unrecht gewesen sei und wir daraus keine Rechte ableiten könnten. Und  Ehrenmitglieder seien zu behandeln wie alle anderen, die unter der Gnade des DSB Schach spielen dürfen.

Bei unserem kürzlichen Heimkampf gegen die SG Porz spielte für Porz ein Spieler auf der Basis des seinerzeit von ihm selbsteigenhändig geändertenVertragstextes während Dr.Hübner, Axel Breest und ich nicht spielen durften. In §2  seiner Satzung hat sich der DSB zur Förderung des Schachspiels verpflichtet und nicht zum Gegenteil. Ich spiele nun seit 55 Jahren beginnend bei der SG Porz Schach und habe seit der Zeit alle Präsidenten und Spielleiter kennengelernt. So etwas wie das geschilderte ist mir noch nicht vorgekommen.

Bodo Schmidt

[/mks_accordion_item]
[/mks_accordion]