April 23, 2024

Jobava dominiert in Abu Dhabi und knackt wieder Elo 2600

Einer meiner allerersten Schachartikel hatte den Titel „Jobava dominates in Milan to re-enter live rating list“ (auf Umwegen ist er, allerdings ohne Partieauswahl, noch online). Das war im Dezember 2011, danach erlebte Baadur Jobava diverse Höhen und Tiefen und zuletzt fast nur Tiefen – „live rating list“ bedeutet ja Elo über 2700, und seit November 2017 ist er ziemlich kontinuierlich von Elo 2712 auf Elo 2584 abgestürzt. Nun ging es allerdings wieder kräftig – Elo +32 – in die andere Richtung. In Abu Dhabi war er Nummer 26 der Setzliste – der letzte Spieler, der ihm den (alleinigen) Turniersieg noch streitg machen konnte war die Nummer 28, auch er wird ihn diesem Beitrag gewürdigt.

Ich werde Abu Dhabi 2019 auch noch mit Mailand 2011 und aus gegebenem Anlass Xtracon Open 2019 vergleichen, aber zunächst zu diesem Turnier. Das war der Endstand: Jobava 8/9, Yakubboev 7, Maghsoodloo, Socko, Salem, Indjic, Petrosyan, Bartel, Tabatabaei, Ni Hua 6.5, usw. . Alle sind Großmeister, Yakubboev (der andere Nodirbek aus Usbekistan, Abdusattorov hat auch mitgespielt) erst seit kurzem.

Alle Fotos ab Turnierseite auf Facebook gefunden.

Wie hat Jobava immer wieder gewonnen? Einerseits spielte er für seine Verhältnisse normale Eröffnungen, andererseits wurde es irgendwann dann doch turbulent. Die beiden „Pflichtsiege“ zu Beginn lasse ich mal aussen vor, dann eine hübsche Schlusstellung in Runde 3 gegen China-IM Xu Yi:

Den kleinen Trick 43.Th8+ Kxh8 44.f8D+ konnte Jobava akzeptieren/verkraften, da nun ausser dem Materialverhältnis alles zu seinen Gunsten ausfällt. Schwarzer Turm und Springer stehen richtig, weisser König falsch (oder aus schwarzer Sicht ebenfalls richtig). Den Freibauern auf c3 braucht er nicht einmal unbedingt, aber so ginge es nach weissem Damen-Rückopfer schneller – Xu Yi gab jedoch hier auf.

Tags darauf konnte er gegen GM Indjic wirbeln, vorübergehend Springer und Qualität opfern (insgesamt also ein Turm) und das Material dann mit reichlich Zinsen zurück erhalten. Aleksandar Indjic ist ein „durchschnittlicher“, vor allem bei Opens aktiver Großmeister, der nächste Gegner war noch prominenter:

Lokalmatador Salem Saleh. Im Duell der Bartträger gewann Schwarz – ein bisschen hat dabei wohl geholfen, dass Weiß unbedingt gewinnen wollte, aber das gehört dazu.

So behielt Jobava das Spitzenbrett, bekam wieder einen Spieler mit relativ kurzer Anreise und hatte auch gegen den Iraner Maghsoodloo in einem wilden Sizilianer das bessere Ende. Diesmal mit Weiß, wieder war der Gegner ganz am Ende materiell besser aufgestellt, aber auch ohne Mattdrohung entschieden Jobavas Freibauern:

Dann Jobavas Tiefpunkt im Turnier: nur Remis gegen Ni Hua, aber auch so behielt er einen vollen Punkt Vorsprung auf sechs Verfolger. Gegen Mateusz Bartel dann ungewöhnliche bzw. bei ihm bekannte Mittel: 1.b3!? war absolut jobavaisch, Springer nach e2 und d2 nicht unbedingt, erst spät die vierte Reihe überschreiten – 13.a4 und dann doch auch 14.e3-e4 – auch nicht. Feindkontakt war dabei nur aufgeschoben. Im 31. Zug fand Bartel dann nicht den (komplizierten) Weg zu einer weiterhin dynamisch-chaotisch-ausgeglichenen Stellung, so gewann Jobava nochmals. Ich verzichte mal auf ein Diagramm zur Schlusstellung – nicht so klar, wer materiell besser stand: vier weisse Bauern und ein schwarzer Springer – da dieser aber gefesselt war und vom Brett verschwinden würde gab Bartel auf.

Jobavas abschliessendes Remis kann man eher nicht als Tiefpunkt bezeichnen: beide hatten offenbar nichts einzuwenden, spielten flott 28 Züge und dann war das Remis unterschriftsreif. So konnte niemand Jobava einholen, nur sein Gegner Nodirbek Yakubboev hätte es mit einem Sieg geschafft aber wollte wohl Platz zwei absichern. Vier Spieler konnten den Usbeken eventuell noch einholen, aber die beiden Partien der nächsten Verfolger endeten (ausgekämpft) remis.

Salem Saleh zeige ich wieder mit „Nebenrolle“: Yakubboev (rechts) konnte in Runde 3 sein Schiff mit Schwarz später sicher in den Remishafen steuern. Bart braucht man dazu also nicht unbedingt, ob der 17-jährige diesbezüglich ebenbürtig sein könnte ist irrelevant.

Um weit vorne zu landen, muss man natürlich auch gegen starke Gegner gewinnen. Das schaffte der Usbeke im weiteren Turnierverlauf. In Runde 4 noch nicht, da überlebte er irgendwie in Verluststellung gegen Bartel. Dann bezwang er allerdings mit Akopian und Indjic nacheinander zwei gestandene Großmeister. Sein dritter Sieg gegen einen nominell überlegenen Gegner in Runde 8 war sozusagen glücklich: Der Inder Karthikeyan, der beim Xtracon Open gegen Landsmann Praggnanandhaa noch konsequent und erfolgreich auf Verlust gespielt hatte, hatte Schwarz und stand diesmal in einem Königsinder mit langer weisser Rochade glatt gewonnen. Aber statt seine Angriffsstellung zu verwerten, wickelte er in ein verlorenes Endspiel ab. Yakubboev also durchaus nochmals im Glück, so wurde es wohl das Turnier seines (bisherigen) Lebens.

Vor ein paar kurzen Worten zu Spielern auf dem geteilten dritten Platz und dann eingangs angekündigten Vergleichen zu anderen Turnieren noch allgemeine Foto-Impressionen:

Im Regelwerk steht, dass man Ergebnisse melden muss da die Partie sonst mit 0:0 gewertet wird. Der junge Mann weiss offenbar noch nicht, wie man das üblicherweise macht: zum Schiedsrichtertisch gehen statt den Schiedsrichter zu rufen (und damit eventuell Spieler, deren Partien noch laufen, stören).

Allgemeiner Blick auf den Turniersaal

Sheikhs gehören in Abu Dhabi dazu – ein Herr in der ersten Reihe kannte den Dresscode offenbar nicht.

Außerdem gab es noch ein Rahmenprogramm:

Ein Match Morozevich-Leko im Schnell- und Blitzschach. Leko hat das Remisspielen offenbar fast komplett verlernt, Endstand zu seinen Gunsten 5-1 im Schnellschach und 6.5-3.5 im Blitzschach. Eine Partie gewann Moro, immerhin: die allerletzte und nicht mehr matchrelevante Blitzpartie. Es lag wohl auch an der Partieanlage des Russen, z.B. 1.f4!? funktionierte später nicht.

Und derlei Angriffsstellungen bekommt Leko sonst nicht unbedingt und strebt sie auch nicht unbedingt an.

Zurück zum Open: Acht Spieler teilten Platz 3 und landeten da auf unterschiedliche Art und Weise. In vier Fällen (Ni Hua, Maghsoodloo, Indjic, Socko) reichte ein Remis in der letzten Runde, da sie ihre Hausaufgaben bereits zuvor erledigt hatten. Vier weitere (Salem, Petrosyan, Bartel, Tabatabaei) brauchten noch einen Sieg in der letzten Runde und schafften es jeweils mit Weiß. Tendenziell profitierten sie eventuell davon, dass ihre Gegner ebenfalls einen Kampf mit offenem Visier suchten.

Salems Bauernopfer 21.d5?! (das zweite in dieser Partie) war aus Engine-Sicht inkorrekt – aber statt den Bauern einfach zu nehmen stürzte sich Gegner Antipov in unvorteilhafte Verwicklungen. Petrosyan besiegte seinen armenischen Landsmann Ter-Sahakyan ebenfalls in undurchsichtigen Verwicklungen, aber ohne mal schlechter zu stehen. Bartel profitierte vielleicht davon, dass Gegner Yuffa Aljechin entkorkte. Tabatabaei zertrümmerte den Königsflügel von Vahap Sanal. Vier weitere Partien zwischen Spielern mit zuvor 5.5/8 endeten Remis, Konsequenz die preisgeldfreie Zone ab Platz 11. Jobava bekam 13.000$, Yakuboev immerhin noch 7.500$, wie die anderen Preise verteilt wurden finde ich im Regelwerk nicht.

Vergleich Abu Dhabi 2019 mit Mailand 2011: Einerseits war Mailand noch besser, 8.5/9 (TPR 2910) ist mathematisch besser als 8/9 (TPR 2908). Andererseits war Jobava in Mailand klarer Favorit, diesmal nicht. In Mailand hatte er nur zwei Gegner mit fast 2600 (2592 und 2597), diesmal fünf mit Elo über 2600. In Mailand hatte er übrigens weitestgehend mit eher trocken-positionellem Schach gewonnen.

Vergleich Abu Dhabi 2019 mit Xtracon 2019: Man konnte lesen, dass Praggnanandhaa (Großmeister PR) in Dänemark „dominierte“. Derlei Bergiffe verwende ich sparsam und nur, wenn strenge Kriterien erfüllt sind. Man muss den Eindruck haben, dass zu 90% derselbe Spieler gewinnen würde, wenn das Turnier nochmals ausgetragen würde. Und da schaue ich neben den reinen Ergebnissen auch auf die Partien. Zwei der drei „turnierrelevanten“ Siege von Pragg in Helsingor waren aus meiner Sicht eher Zufallsprodukte bzw. entstanden mit kräftiger bis absurder gegnerischer Hilfe – Zufall ist zufällig und demnach nicht unbedingt reproduzierbar. Und in der letzten Runde konnte es noch schiefgehen. Diesmal wählte ich den Titel „Jobava dominiert …“ … da er dominierte.

Pragg hat übrigens in Abu Dhabi auch mitgespielt und erzielte diesmal ein insgesamt Elo-normales Ergebnis, weder gut noch schlecht. Unglaubliches Glück hatte er dabei in Runde 7, da Landsmann IM Akash im Turmendspiel gleich mehrere Elfmeter verschoss – vielleicht wollte er nur Remis und suchte deshalb in Gewinnstellung nach Remiswegen, am Ende erfolgreich.

Wie geht es mit Jobava weiter? Das weiss wohl nicht einmal er selbst, und das einzige was er komplett selbst beeinflussen kann ist sich rasieren oder nicht.